Katharina von Medici (German Edition)
kleiner Wesen, die sich bewegten, dachten und räsonierten. Die einen lebten in dem Körper dieses Menschen, die anderen in seinem Geiste. Seine Gedanken waren Wesen, die geboren wurden, wuchsen und dann starben; sie waren krank, froh, gesund, traurig und besaßen endlich alle besondere Physiognomien; sie bekämpften sich oder liebkosten einander. Manche Gedanken stürzten sich nach draußen und lebten in der intellektuellen Welt. Plötzlich begriff ich, daß es dort zwei Welten gäbe: ein sichtbares und ein unsichtbares Weltall; daß die Erde wie der Mensch einen Leib und eine Seele besäße. Die Natur erleuchtete sich für mich, und ich lernte ihre Unermeßlichkeit erfassen, indem ich den Ozean der Wesen erblickte, die in Mengen und Arten überall verbreitet waren, indem sie eine und dieselbe Materie von den Marmorarten an bis zu Gott hinauf bildeten. Ein herrliches Schauspiel! Kurz es gab ein Weltall in meinem Kranken. Als ich mein Messer mitten in den krebsigen Schenkel stieß, vernichtete ich Tausende von diesen Tierchen. – Sie lachen, meine Damen, weil Sie erfahren, daß sie Viehchern ausgeliefert sind? ...«
»Keine Anzüglichkeiten«, sagte Herr von Calonne.
»Reden Sie, kommen Sie auf sich und auf Ihren Kranken zurück.«
»Mein durch die Schreie seiner Aufgußtierchen erschreckter Mann wollte meine Operation unterbrechen; doch säbelte ich immer weiter und sagte zu ihm, daß nichtsnutzige Tiere bereits seine Knochen annagten. Er machte eine Bewegung des Widerstandes, indem er nicht begriff, daß das, was ich tun wollte, zu seinem Besten geschähe und mein Operationsmesser fuhr mir selber in die Seite ...«
»Er ist stupide«, sagte Lavoisier.
»Nein, betrunken«, erwiderte Beaumarchais.
»Aber meine Herren, mein Traum hat doch einen Sinn«, rief der Chirurg.
»Oh, oh,« rief Bodard, welcher aufwachte, »mein Bein ist eingeschlafen.«
»Mein Herr,« sagte seine Frau zu ihm, »Ihre Tierchen sind tot.«
»Der Mann da fühlt sich zu irgend etwas berufen«, rief mein Nachbar, welcher den Chirurgen, während er sprach, in einem fort fixiert hatte.
»Mein Traum verhält sich zu dem, was Sie, mein Herr erzählt haben, wie die Handlung zum Worte, der Körper zur Seele.«
Seine schwerfällige Zunge aber wurde konfus, er stieß nurmehr undeutliche Worte aus. Zu unserem Glücke lenkte die Unterhaltung in andere Bahnen ein. Im Verlaufe von einer halben Stunde hatten wir den Pagenchirurgen, welcher schlief, vergessen. Als wir von Tisch aufstanden, goß es aus Mollen vom Himmel herab.
»Der Advokat ist nicht so dumm«, sagte ich zu Beaumarchais.
»Oh, er ist plump und kalt. Doch birgt, wie Sie sehen, die Provinz immer noch gute Tröpfe, welche politische Theorien ebenso wie unsere französische Geschichte ernst nehmen.«
»Haben Sie Ihren Wagen da«, fragte mich Frau von Saint-James.
»Nein«, entgegnete ich trocken. »Ich wußte nicht, daß ich ihn heute nacht brauchen würde. Wünschen Sie etwa, daß ich den Kontrolleur nach Hause bringe? Sollte er denn en polisson zu Ihnen gekommen sein?«
Dies Modewort diente dazu einen Menschen zu bezeichnen, der, als Kutscher gekleidet, seinen eigenen Wagen nach Marly lenkt.
Frau von Saint-James entfernte sich lebhaft, läutete, verlangte Saint-James Wagen und nahm den Advokaten beiseite.
»Herr von Robespierre, wollen Sie mir den Gefallen tun und Herrn Marat vor seinem Hause absetzen, er ist ja außerstande, sich gerade zu halten«, sagte sie zu ihm.
»Gern, gnädige Frau«, antwortete Herr von Robespierre in galanter Weise; »ich wäre glücklich, wenn Sie mich vor eine etwas schwierigere Aufgabe stellten.«
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