Katharsia (German Edition)
Doktor Fasin und zerrte Sando mit sich.
Auf der Wendeltreppe, die nur einige Meter entfernt war, nahmen sie gleich mehrere Stufen auf einmal, hetzten in die nächste Etage. Ein Blick in den Zellengang – dort war niemand.
Weiter! Treppauf! Die Sirene heulte.
Und wieder ein rascher Blick in den Trakt – er war leer.
Weiter! Im Kreise aufwärts! Etage folgte auf Etage. Das Atmen wurde schwer. Im achten Stockwerk wurden sie fündig. Auch hier wedelte ein Wachmann ziellos mit einem Sauger in der Luft herum, ohne zu begreifen, worin das Problem bestand. Er stand vor einer Schleuse, deren äußere Tür geöffnet war. Sando glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, als er einen Blick in den engen Raum warf. Hüfthoch war dieser angefüllt mit Seelenwracks. Langsam quollen sie über die Schwelle und tropften durch die Laufgitter bis hinunter ins Erdgeschoss. Sie waren in dem Zustand, auf den, wie Sando wusste, kein Ortungsgerät mehr ansprach. Warum dann der Alarm?
Hastig erklärte Sando Doktor Fasin die Situation.
„Sie fallen über mehrere Stockwerke“, rief Doktor Fasin. „Wahrscheinlich ist es diese Flugphase, die den Alarm auslöst.“
Er drängte sich an dem Wachmann vorbei und schlug die Tür der Schleuse zu. Sando schloss rasch die Augen, doch es war zu spät. Er hatte gesehen, wie drei heraushängende Seelen von der Tür in der Körpermitte geteilt worden waren.
Kurz darauf brach der Sirenenton ab.
„Nun schalten Sie endlich Ihren Sauger aus!“, fuhr der Doktor den Wachmann an. „Was haben Sie getan, bevor der Alarm losging?“
„Nichts Besonderes. Nur das, was ich immer tue.“
„Und was tun Sie immer?“, fragte Doktor Fasin ungeduldig.
„Ich wollte da rein zur Überprüfung der Kokonschicht.“ Er wies mit einem verunsicherten Blick zur Schleusentür. „Na ja, erst bin ich in die Schleuse und habe die Tür sorgfältig hinter mir verschlossen. Dann habe ich meinen Spruch gerufen, dass die Inhaftierten in der Zelle bleiben sollen. Im anderen Falle drohten harte Strafen. Das Übliche eben … Und dann habe ich die innere Tür zur Zelle geöffnet und drinnen alles geprüft.“
„Haben Sie dabei die innere Tür offen stehen lassen?“
„Ja, wie immer. Die Seelen sind ja gewarnt. Sie wagen sich nicht in die Schleuse. Außerdem hat das Ortungsgerät auf meinem Rückweg, also als ich wieder in der geschlossenen Schleuse stand, nichts angezeigt.“
„Und weiter?“
„Also, ich öffne die Tür, trete hinaus auf den Gang und in dem Moment geht der Alarm los. Es ist mir unerklärlich. Ich habe natürlich sofort zum Inhalator gegriffen, aber wo, zum Kuckuck, soll man saugen, wenn nichts angezeigt wird?!“
Doktor Fasin sah Sando an.
„Kannst du dir einen Reim darauf machen?“
„Ich weiß nicht … Die vielen Seelen müssen aus der Zelle in die Schleuse gelangt sein, aber …“ Sando zuckte ratlos die Schultern.
„Was aber?“
„Allein hätten sie das niemals geschafft. Sie sind zu schwach, sich zu bewegen.“
Der Wachmann schaute die beiden verständnislos an.
„Bitte, wovon reden Sie? Schwache Seelen in der Schleuse?“
„Ja, unser junger Auvisor meint, Sie hätten hüfthoch im Seelenbrei gestanden.“
„Auvisor? Seelenbrei?“, stammelte der Mann. Er schien nichts zu begreifen.
Doktor Fasin nahm dem verdatterten Wachmann den Inhalator aus der Hand und schaltete ihn an. „Wir sollten erst einmal die Schleuse frei machen!“, rief er, das Geräusch übertönend. „Sag mir bitte, ob es funktioniert, Sando.“
Er richtete das Rohr auf den Boden vor der Tür und öffnete diese dann einen Spalt. Sando sah wohl oder übel hin. Die herausquellenden Seelenleiber verschwanden ausnahmslos im Sauger. Die Sirene blieb stumm.
„Es klappt“, sagte er, woraufhin der Doktor nach der Klinke fasste und die Tür weiter aufzog.
Der Anblick der hilflosen Seelen, deren Augen teilnahmslos blickten, während sie der Mündung des Inhalators entgegentrieben, verursachte wieder Brechreiz bei Sando. Er würgte und war froh, als er endlich mitteilen konnte, dass die Schleuse frei war. Daraufhin schaltete Doktor Fasin das Gerät aus.
„Gut“, sagte er entschlossen. „Jetzt schauen wir uns an, was dort drin los ist.“
„Wir gehen da rein?“, frage Sando mit bangem Herzen.
„Anders erfahren wir nicht, wie die Seelen in die Schleuse gelangt sind.“ Doktor Fasin wendete sich an den Wachmann: „Geben Sie dem Jungen Ihren Helm! Sie brauchen ihn im Moment nicht. Die Luft ist rein hier
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