Katharsia (German Edition)
leid.“
„Das wenige ist beunruhigend genug, Junge. Wenn der Hades außer Kontrolle gerät, steht es schlecht um Katharsia.“
Was er dann sagte, kam deutlich leiser bei Sando an. Offenbar hatte sich Wanderer vom Mikrofon weggedreht, als er an die Adresse des Professors sagte: „Der Hades schien so sicher. Es ist zum Verzweifeln! Im Moment bröckelt es an allen Fronten.“
Wieder lauter, verabschiedete er sich schließlich von Sando: „Also dann, Sando … Ich bitte dich, bleib dran, schau dich um im Hades. Die Zeit drängt. Ich bin sicher, da ist etwas im Gange. Ich werde mit Professor Strondheim beraten, was wir von hier aus tun können, um den Hades zu sichern. Danke für alles. Halte die Ohren steif, Sando! Ich bin stolz auf dich.“
Dann herrschte Ruhe in der Leitung. Sando atmete tief durch.
Also morgen wieder in die Hölle , dachte er enttäuscht. Nach dem Auftauchen des Keys hatte er im Stillen gehofft, dass ihm künftige Besuche dort unten erspart bleiben würden.
Umständlich begann er, sich auszuziehen. Nachdem er Anzugjacke und Hose achtlos auf den Sessel geworfen hatte, dröselte er mit fahrigen Bewegungen den Krawattenknoten auf. Dann nestelte er am obersten Hemdknopf herum. Der weigerte sich jedoch standhaft, sich zu öffnen. Ungeduldig zerrte Sando am Kragen, bis der Knopf mit einem leisen Geräusch abriss und quer durch das Zimmer hüpfte.
Aber Sando achtete nicht darauf. Seine Gedanken kreiselten um das Gespräch mit dem Präsidenten. Im Hades sollte er sich umschauen, nach Seelenrettern suchen!
Wanderer hat gut reden , dachte er. Der Hades ist riesig. Wie soll ich es anstellen, etwas zu finden?
Nackt sprang er ins Bett, kroch unter die Decke. Wenige Augenblicke später hatte ihn die Müdigkeit übermannt.
Geweckt wurde er durch einen markerschütternden Schrei und das Gefühl, ihm würde die Brust aufgerissen. Sando saß aufrecht im Bett. Es war noch dunkel. Erleichtert fühlte er das Medaillon auf der unversehrten Brust.
Dieser Schrei! In Paris im Krankenhaus hatte er ihn zum ersten Mal gehört und am Schwarzen See hatte er ihn aus dem Schlaf gerissen und ihn vor dem Erfrieren bewahrt. Was mochte diesmal geschehen sein?
„Jannis?“, rief er und schaltete die Lampe am Bett an.
Die Seele des Alten schwebte dicht über ihm und blickte ihn aufmerksam an.
„Was machen Sie hier, Jannis? Warum haben Sie mich geweckt?“
„Entschuldige, Sando. Ich weiß, es war ein harter Tag für dich.“
„Schon gut …“ Sando war hellwach. „Verraten Sie mir heute, was es mit diesem Schrei auf sich hat?“
„Was soll damit sein?“, wich Jannis aus. „Der Mensch schreit vor Glück oder vor Schmerz.“
„In diesem Falle war es Schmerz, nicht wahr? Hat man Sie auf der Erde misshandelt?“
Jannis zögerte, sagte abweisend: „Ich bin nicht gekommen, um über mich zu sprechen.“
Doch Sando ließ nicht locker.
„Man hat Sie misshandelt. Ziemlich schwer sogar.“
Jannis wuselte nervös von einer Seite des Bettes zur anderen.
„Zugegeben, ja. Aber körperlicher Schmerz ist nicht immer das Schlimmste.“
„Wie meinen Sie das?“
Jannis trieb es in die entfernteste Zimmerecke. Ohne Sando anzublicken, zirpte er kaum hörbar: „Schmerzhafter kann der Moment sein, in dem du eine Gewissheit erlangst.“
Sando wurde nicht schlau daraus.
„Was denn für eine Gewissheit?“
Jannis wandte sein Gesicht Sando zu und antwortete: „Die Gewissheit, dass deine Liebe nicht erwidert wird.“
Die Trauer in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Sando fragte beklommen: „Kann denn Liebe so stark sein, dass sie solche Schmerzen verursacht?“
Ein rascher Impuls brachte Jannis zu Sandos Bett zurück. Dicht über dem Jungen schwebend, sprach er mit einer inneren Festigkeit, die der Junge körperlich spürte: „Ja, Sando, sonst verdient sie den Namen ,Liebe‘ nicht.“
Sando fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seine Fragen Jannis peinigten. Doch die Neugier trieb ihn dazu, weiterzufragen.
„Wen haben Sie denn so geliebt, Jannis?“
Der nächtliche Besucher warf ihm einen forschenden Blick zu, als wollte er sich vergewissern, ob er dem Jungen sein Innerstes anvertrauen durfte. Dann sagte er knapp: „Die Menschen.“
Sando war enttäuscht. Wie konnte man alle Menschen lieben? Ein bisschen genauer hätte er es schon gern gewusst.
„Aber …“, begann er, doch Jannis hob abwehrend die Arme.
„Genug, Sando! Ich bin nicht so
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