Katharsia (German Edition)
auffiel, dass der Vierte im Bunde fehlte.
„Er ist außer Gefahr“, beruhigte ihn der Doktor. „Ich habe ihn mit einem seiner Kollegen von der Einwanderungskommission wegfahren sehen.“
Er steuerte das Mobil in das unübersichtliche Getümmel von Fahrzeugen, die alle der Ausfahrt des Parkplatzes zustrebten. Sie kamen nur schrittweise voran.
„Weiß jemand, ob Ben noch mit Denise sprechen konnte?“
Gregor blickte fragend in die Runde.
„Ja“, meldete sich Sando. „Als ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er mit ihr telefoniert.“
„Und?“ Gregor schaute ihn gespannt an. „Kennst du nun den Namen des Professors, der Menschen als Versuchskaninchen missbraucht hat?“
„Professor Sindelfang“, brummte Nabil.
„Ja, so hieß er auf der Erde“, entgegnete Gregor etwas gereizt über die Begriffsstutzigkeit des Hünen. „Ich meine den Namen, unter dem er in Katharsia lebt.“
„Nein, leider nicht“, sagte Sando.
Plötzlich geriet das Mobil heftig ins Schlingern.
„Dieser Hornochse!“, schimpfte Doktor Fasin. „Kann der nicht warten wie alle anderen auch?“
Dicht neben ihnen tauchte ein Gleiter auf und schrammte an der Fahrzeugschlange vorbei nach vorn.
Doktor Fasin stand die Zornesröte im Gesicht. Er ließ die Scheibe herunter und beschimpfte den Drängler. Er war außer sich. So jähzornig hatte ihn Sando nur ein Mal erlebt: in Paris im Krankenhaus, als ein aufdringlicher Reporter ihn fotografiert hatte.
Fehlt nur noch, dass er aussteigt und handgreiflich wird , dachte Sando.
Stimmengewirr von draußen. Der Doktor war offenbar nicht der einzige hier, der die Nerven verlor. Die Aggressivität der Fliehenden im Stau hatte spürbar zugenommen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sah Sando hinaus. Unweit von ihnen schimmerte der schlanke Rumpf des Interkontinentalgleiters im bunten Licht der Lampions. Darüber schwebte ein riesiger Helikopter der Gefahrenabwehr, aus dem sich eben ein Kämpfer abseilte. In der offenen Seitentür des Hubschraubers entdeckte Sando Achmed Assadi. Der General war unschwer zu erkennen, denn noch immer trug er seine Galauniform.
Wollte er nicht seine Frau nach Hause bringen , fragte sich Sando und erinnerte sich an die Selbstvorwürfe des Generals, den Kampf gegen die Seelenretter behindert zu haben.
Er will alles wieder gutmachen , dachte der Junge, während er im Davonfahren die halsbrecherische Aktion beobachtete.
NÄCHTLICHER BESUCH
Als Sando sein Zimmer betrat, wehte ihm kühle Nachtluft entgegen. Er hatte vor der Abfahrt zum Ball vergessen, das Fenster zu schließen. Vom Hof her drang leises Zirpen herein.
Wer weiß, was die Seelen im Warteheim nebenan zu dieser späten Stunde noch zu bereden haben , dachte Sando und trat ans Fenster. Doktor Fasins Anwesen lag in silbriges Mondlicht getaucht. Die schwarze Silhouette des rustikalen Brunnens ragte – einem finsteren Riesen gleich – aus der Rasenfläche vor dem Eingangsportal. Das Schöpfwerk erschien mächtiger, als es Sando in Erinnerung hatte, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob es größer und größer wurde. Er schob es auf die nächtlichen Lichtverhältnisse und seine Überreiztheit.
Ich sehe schon Gespenster , dachte er.
Noch immer im Anzug warf er sich auf das Bett und starrte zur Decke. An Schlaf war nicht zu denken. Die Ereignisse des Tages hatten ihn aufgewühlt. Der Mordversuch an Massef. Sando sah ihn im Geiste bewusstlos auf der Trage liegen. Wem war er in die Quere gekommen? Wie mochte es ihm jetzt gehen? Der Anschlag auf Vitellis Gleiter. Waren die Bomben hochgegangen oder war es der Gefahrenabwehr gelungen, sie zu entschärfen? Und im Hades war er dem Mörder Marias begegnet, Jussuf Mahmoud. Ausgerechnet ihn, Sando, hatte er um Hilfe angefleht. Hass kroch in ihm hoch, wenn er nur an den Mann dachte, der Maria auf dem Gewissen hatte.
Maria!
Er fasste an seine Brust, wo er das Medaillon mit dem Bildnis der Madonna spürte, Marias Medaillon, das er immer bei sich trug und dessen Geheimfach leer war, seit sie den Hühnergott im Dresdner Retamininstitut abgegeben hatten. Welch eine seltsame Verkettung des Schicksals, dass heute ausgerechnet bei Maria der Hühnergott wieder aufgetaucht war.
Sando stutzte. Wusste Wanderer überhaupt davon? Sicher würde ihm diese Nachricht helfen, sich gegenüber den Seelenrettern zu behaupten.
Er sprang auf, schnappte sich das Telefon, tippte die Nummer des Präsidenten ein. Er hatte sie im Kopf.
Jemand aus Wanderers Büro meldete
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