Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
zögernd und reagierte im allgemeinen auf alle ihre Fragen mit: „Du wirst schon sehen.“
Deshalb überraschte es sie, daß er seinen Mundschutz abnahm und zu sprechen anfing, während sie beobachteten, wie der goldene Ring in der Glut die Hitze aufnahm.
„Du bist eine thajib, wie wir sagen“, erklärte Schahin, „eine Frau, die nur einmal mit einem Mann zusammen gewesen ist -, und doch bekommst du ein Kind. Vielleicht ist dir aufgefallen, wie die Leute in Ghardaia dich angesehen haben, als wir dort Rast machten. Bei uns gibt es eine Geschichte. Siebentausend Jahre vor der Hegira kam eine Frau aus dem Osten. Sie legte die vielen tausend Meilen durch die Salzwüste allein zurück, bis sie das Land der Kel Rela Tuareg erreichte. Ihr Volk hatte sie verstoßen, denn sie bekam ein Kind.
Die Haare der Frau hatten die Farbe der Wüste - wie deine Haare. Ihr Name war Daia, und das bedeutet ‘Quelle’. Sie fand Schutz in einer Höhle. Und als ihr Kind geboren wurde, begann aus dem Felsen der Höhle Wasser zu fließen. Es fließt noch heute dort in Kar Daia - in der Höhle von Daia, der Göttin der Brunnen.“
Also trug der Ort Ghardaia, wo sie Kamele und Vorräte bekommen hatte, den Namen der geheimnisvollen Göttin Kar — wie Karthago, dachte Mireille. War die Geschichte von Daia auch die Geschichte von Dido? War es ein und derselbe Mythos? „Warum erzählst du mir das?“ fragte Mireille und streichelte Charlot, den Wanderfalken, der auf ihrem Arm saß, während sie ins Feuer starrte.
„Es steht geschrieben“, sagte er, „daß eines Tages ein Nabi, ein Prophet, kommen wird von Bahr-al-Asrak - dem Azurmeer - ein Kalim, ein Mann, der mit den Geistern spricht, der dem Tarikat, dem mystischen Weg des Wissens, folgt. Und er wird ein Saar sein, ein Mann mit heller Haut, blauen Augen und rotem Haar. Mein Volk glaubt daran, und deshalb haben sie dich so angestarrt.“
„Aber ich bin kein Mann“, sagte Mireille und hob den Kopf, „ich habe grüne Augen - keine blauen.“
„Von dir rede ich nicht“, erwiderte Schahin und beugte sich über das Feuer. Er zog sein busaadi - ein langes, dünnes Messer - hervor und holte den glühenden Ring aus der Glut. „Wir warten auf deinen Sohn - er wird unter den Augen der Göttin geboren werden -, so wie es prophezeit ist.“
Mireille fragte Schahin nicht, woher er wußte, daß ihr Ungeborenes ein Junge sein würde. Ihr gingen tausend Gedanken durch den Kopf, während sie Schahin dabei beobachtete, wie er einen Lederriemen durch den glühenden Ring zog. Nach beinahe sechs Monaten spürte sie die Bewegungen in ihrem dicken Leib. Was würde aus dem Kind werden, wenn es in dieser endlosen, gefährlichen Wildnis geboren wurde — so weit entfernt von den Menschen ihrer Heimat? Warum glaubte Schahin, das Kind werde diese uralte Prophezeiung erfüllen? Warum hatte er ihr die Geschichte von Daia erzählt? Und was hatte Daia mit dem Geheimnis zu tun, das sie hierhergeführt hatte? Sie drängte diese Fragen zurück, als er ihr den heißen Ring gab.
„Berühre ihn damit kurz, aber fest am Schnabel – hier“, befahl er und gab ihr den immer noch glühenden Ring mit dem Lederband. „Er spürt kaum etwas, aber er wird es nicht vergessen...“ Mireille sah den Falken mit der Haube über dem Kopf an, der vertrauensvoll auf ihrem Arm saß und seine Krallen in das dicke Armpolster geschlagen hatte. Der Schnabel war unbedeckt, und sie hielt den Ring dicht daran. Aber dann zögerte sie.
„Ich kann es nicht“, erklärte sie und senkte den Ring, dessen rötlicher Schein in der kalten Nacht leuchtete.
„Du mußt“, sagte Schahin energisch. „Woher willst du die Kraft nehmen, einen Mann zu töten —, wenn du nicht Kraft genug hast, einem Vogel dein Zeichen aufzudrücken?“
„Einen Mann töten?“ fragte sie. „Niemals!“ Aber bei diesen Worten lächelte Schahin nur dunkel; seine Augen funkelten goldbraun im schwachen Licht. Die Beduinen haben recht, dachte Mireille, wenn sie sagen, an einem Lächeln ist etwas Schreckliches.
„Rede mir nicht ein, daß du diesen Mann nicht töten wirst“, sagte Schahin leise. „Du weißt, von wem ich spreche - im Schlaf rufst du jede Nacht seinen Namen. Ich rieche die Rache an dir, so wie ich Wasser dem Geruch nach finde. Deshalb bist du hier. Du lebst nur für deine Rache.“
„Nein“, widersprach Mireille, aber sie spürte das Blut hinter den Augenlidern klopfen, als ihre Finger sich fester um den Ring unter dem schützenden Leder schlössen. „Ich
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