Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
bin hier, um ein Geheimnis zu lüften. Du weißt das. Aber du erzählst mir Geschichten von einer rothaarigen Frau, die seit vielen tausend Jahren tot ist...“
„Ich habe nicht gesagt, daß sie tot ist“, erwiderte Schahin mit ausdruckslosem Gesicht. „Sie lebt wie der singende Sand der Wüste, wie die alten Mysterien, und sie spricht. Die Götter konnten ihren Tod nicht mit ansehen - sie haben sie in einen lebenden Stein verwandelt. Seit achttausend Jahren wartet sie auf das Werkzeug ihrer Rache - auf dich und deinen Sohn -, so wie es vorausgesagt worden ist.“
An dem Tag, an dem die Felsen und Steine anfangen zu singen, werde ich mich wie ein Phönix aus der Asche erheben... und der Wüstensand wird blutrote Tränen vergießen... und dies wird für die Erde der Tag der Vergeltung sein...
Mireille hörte Letizias Stimme und die Antwort der Äbtissin: Das Montglane-Schachspiel enthält den Schlüssel, um die schweigenden Lippen der Natur zu öffnen - um die Stimmen der Götter zu entfesseln...
Der Ring in ihrer Hand glühte. Sie sprach leise auf den Falken ein, holte tief Luft und drückte das heiße Gold auf seinen Schnabel. Der Vogel zuckte zusammen, zitterte, bewegte sich jedoch nicht, als der durchdringende Geruch nach verbrannter Hornhaut aufstieg. Mireille würgte es, als sie den Ring in den Sand warf. Sie streichelte das Gefieder des Falken. Auf seinem Schnabel sah sie eine vollkommen geformte Acht.
Schahin legte seine große Hand auf ihre Schulter, während sie den Falken streichelte. Er berührte sie zum ersten Mal und sah ihr jetzt in die Augen.
„Als sie zu uns in die Wüste kam“, sagte er, „nannten wir sie Daia. Aber jetzt lebt sie im Tassili, und dorthin bringe ich dich. Sie ist über sechs Meter hoch und steht über dem Tal von Djabbaren, über den Riesen der Erde - über die sie herrscht. Wir nennen sie die Weiße Göttin.“
Sie zogen viele Tage durch die Dünen und rasteten nur, wenn sie kleines Wild sahen. Dann warfen sie einen der Falken in die Luft, um sie zu jagen. Das war ihre einzige frische Nahrung und die salzigschmeckende Milch der Kamele ihr einziges Getränk.
Am Mittag des achtzehnten Tags, als Mireille auf einer Düne angekommen war und das Kamel im weichen Sand rutschte, sah sie zum ersten Mal von weitem die Saubaah , die wilden spiralförmigen Windsäulen, die durch die Wüste rasten. In etwa zehn Kilometer Entfernung stiegen rotgelbe Sandsäulen etwa dreihundert Meter in den Himmel und lösten sich dort in eine riesige rote Wolke auf, die den Himmel bedeckte und die Mittagssonne verdunkelte. Der Sand unter ihnen wurde dreißig Meter hoch in die Luft geschleudert - ein kochender, farbiger Strudel aus Steinen, Sand und Pflanzen.
Ihr zeltartiger Sonnenschutz flatterte über dem Kamelsattel wie die geblähten Segel eines Schiffs, das das Meer der Wüste durchquerte. Mireille hörte nur das Klatschen der Plane, während sich in der Ferne die Wüste lautlos zerfetzte.
Dann hörte sie den Ton - ein tiefes, leises und angsterregendes Dröhnen wie ein geheimnisvoller orientalischer Gong. Die Kamele wurden unruhig, scheuten und zerrten an den Leinen. Der Sand unter ihnen gab nach. Schahin sprang von seinem Kamel, packte die Zügel und zog es vorwärts, während das Kamel nach allen Seiten ausschlug.
„Sie fürchten den singenden Sand“, rief er Mireille zu und nahm ihre Zügel, während sie hinunterkletterte und ihm half, den Sonnenschutz zusammenzulegen. Schahin verband den Kamelen die Augen; sie bäumten sich auf und stießen heisere, kehlige Rufe aus. Schahin fesselte sie mit einem takil an den Vorderbeinen über dem Knie und zwang sie, sich in den Sand zu legen, während Mireille ihnen das Zaumzeug abnahm. Der heiße Wind blies heftiger, und der singende Sand wurde lauter.
„Der Sturm ist noch fünfzehn Kilometer entfernt“, schrie Schahin, „aber er ist sehr schnell. In zwanzig oder dreißig Minuten fällt er über uns her!“
Er schlug Zeltpfosten in den Boden und zurrte Planen über ihre Habe, während die verängstigten Kamele brüllten, da sie mit den gefesselten Vorderbeinen keinen Halt im treibenden Sand fanden. Mireille durchschnitt die sibaks , die seidenen Fesseln der Falken, packte die Vögel und schob sie in einen Sack, den sie unter dem flatternden Zelt verstaute. Dann krochen sie und Schahin in das Zelt, das schon halb unter schwerem, steinigem Sand begraben war.
Im Zelt band Schahin Mireille Tücher um Kopf und Gesicht. Selbst hier unter der Plane spürte
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