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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malaxis
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ins Bodenlose. Sie schluckte mit trockener Kehle und stand langsam wieder auf. Der Pfad war so schmal, daß auch Schahin ihr nicht helfen konnte. Sie ging weiter, ohne einen Blick nach unten zu werfen. Die geheimnisvollen Töne wurden immer lauter.
    Es waren drei Töne, die sich in verschiedenen Kombinationen ständig wiederholten und dabei höher und höher wurden. Je näher sie dem Spalt im Felsen kamen, desto weniger klang es wie Wind. Die schönen und klaren Töne ähnelten einer menschlichen Stimme.
    Fünfzehnhundert Meter über dem Talgrund erreichten sie den Felsvorsprung. Und was von unten wie ein schmaler Riß in der Felswand ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit eine riesige Öffnung wie der Eingang zu einer Höhle. Der sechs Meter breite und etwa fünfzehn Meter hohe „Spalt“ schien zum Gipfel hinauf zu führen. Als Schahin neben ihr stand, nahm Mireille seine Hand, und gemeinsam schritten sie durch die Öffnung.
    Die Töne waren plötzlich ohrenbetäubend laut, umschwirrten sie von allen Seiten, und ihr Echo wurde überall von den Felsen zurückgeworfen. Mireille hatte das Gefühl, als würden die Klänge in jede Faser ihres Körpers eindringen, während sie langsam durch den dunklen Spalt gingen. Am Ende sahen sie einen schwachen Lichtschein. Sie tasteten sich durch die Dunkelheit und schienen von den Tönen geschluckt zu werden. Endlich hatten sie es geschafft und traten ins Licht hinaus.
    Sie standen nicht in einer anderen Höhle, wie Mireille vermutet hatte, sondern in einem kleinen Talkessel, über dem sich der Himmel wölbte. Sonnenschein umgab sie und ließ alles um sie herum in einem unwirklichen Weiß erstrahlen. Im Halbkreis konkaver Felswände sah sie die Riesen. Sechs Meter über ihr schwebten sie in blassen ätherischen Farben. Es waren Götter mit geschwungenen Widderhörnern auf den Köpfen, Männer in weiten Anzügen und Schläuchen vom Mund zur Brust. Ihre Köpfe verschwanden unter runden Helmen, und wo ihre Gesichter hätten sein müssen, waren nur schmale Öffnungen. Sie saßen auf Stühlen mit seltsamen Rückenlehnen, die ihre Köpfe abstützten. Vor ihnen waren Hebel und runde Scheiben wie auf Uhren oder Barometern: Sie verrichteten Dinge, die Mireille nicht kannte und verstand. In ihrer Mitte schwebte die Weiße Göttin.
    Die Töne waren verstummt. Vielleicht hatte der Wind - oder die Phantasie - ihnen einen Streich gespielt. Die Gestalten glänzten im strahlend weißen Licht. Mireille blickte zur Weißen Göttin hinauf.
    Hoch oben auf der Wand schwebte die seltsame und erschreckende Gestalt - sie war größer als alle anderen. Wie eine Verkörperung der Nemesis, der göttlichen Gerechtigkeit, erhob sie sich aus einer weißen Wolke. Das kantige Gesicht war mit wenigen, ungestümen Strichen nur angedeutet. Die gewundenen Hörner glichen Fragezeichen, die aus dem Stein hervorzuragen schienen. Sie öffnete den Mund zu einer lauten Klage, wie ein Mensch ohne Zunge, der verzweifelt sprechen will. Aber sie sprach nicht.
    Mireille konnte den Blick nicht von der Weißen Göttin wenden; sie war wie betäubt. Die Stille war noch bedrohlicher als die Töne. Sie sah Schahin an, der bewegungslos neben ihr stand. In dem dunklen Haik und den dunkelblauen Schleiern schien auch er aus dem zeitlosen Felsen gehauen zu sein. Im strahlenden weißen Licht und umgeben von den kalten Felswänden packte Mireille das Entsetzen. Verwirrt hob sie langsam den Kopf und richtete den Blick noch einmal auf die Felswand. Und dann sah sie es.
    Die Weiße Göttin hielt einen langen Stab in der Hand, und um diesen Stab wanden sich zwei Schlangen - sie bildeten eine Acht wie der Caduceus der Ärzte. Mireille glaubte, eine Stimme zu hören - aber die Stimme kam nicht von der Felswand, sondern sprach aus dem Innern zu ihr: Sieh noch einmal hin. Sieh genau hin. Siehst du es nicht?
    Mireille betrachtete die Figuren auf der Felswand - es waren alles Männer, bis auf die Weiße Göttin. Und dann, als habe man ihr einen Schleier von den Augen gezogen, sah sie die Darstellungen anders. Es war nicht länger ein Panorama von Männern, die seltsame und unerklärliche Dinge taten - es war ein einziger Mann. Wie in lebenden Bildern sah sie die Entwicklung eines Mannes über viele Stadien hinweg - die Verwandlung vom einen in einen anderen.
    Unter dem Zauberstab der Weißen Göttin bewegte sich dieser Mann über die Wand. Er durchlief ein Stadium nach dem anderen, so wie die Menschen mit den runden Köpfen, die als Fische aus dem

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