Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
vielen Orden behängt, daß man fürchten mußte, er werde unter ihrer Last zusammenbrechen. Plato war jung und hübsch. Es war eindeutig, welche Rolle er am Hof spielte. Während Katharina mit der Äbtissin sprach, streichelte sie seinen Arm.
„Helene“, sagte sie seufzend, „wie oft habe ich mich nach dir gesehnt. Ich kann es kaum glauben, daß du endlich gekommen bist. Aber Gott hat meinen Herzenswunsch erhört und mir die Freundin meiner Kindheit geschickt.“
Sie bot der Äbtissin Platz in einem großen, bequemen Sessel an und setzte sich ihr gegenüber. Plato und Valerian nahmen hinter den beiden Frauen Aufstellung.
„Das muß gefeiert werden. Aber vielleicht weißt du, daß ich in Trauer bin und zur Feier deiner Ankunft kein Fest geben kann. Ich schlage vor, wir speisen heute abend in meinen Privatgemächern. Dort können wir lachen und uns freuen. Wir werden uns für einen Augenblick wieder wie junge Mädchen fühlen. Valerian, hast du wie befohlen den Wein geöffnet?“
Valerian nickte und ging zur Kredenz hinüber.
„Meine Liebe, du mußt diesen Bordeaux kosten. Er gehört zu meinen Schätzen. Denis Diderot hat ihn vor vielen Jahren aus Bordeaux mitgebracht. Für mich ist er so wertvoll wie ein kostbares Juwel.“
Valerian schenkte den dunkelroten Wein in kleine Kristallgläser. Die beiden Frauen tranken.
„Ausgezeichnet“, sagte die Äbtissin und lächelte Katharina an. „Aber kein Wein läßt sich mit dem Lebenselixier vergleichen, das unser Wiedersehen für meine alten Knochen bedeutet, mein Figchen.“
Plato und Valerian warfen sich einen verblüfften Blick zu. Platos besondere Stellung hatte ihn so kühn gemacht, sie im Bett „Geliebte meines Herzens“ zu nennen. Aber in der Öffentlichkeit blieb er immer bei „Eure Majestät“, und diese Anrede galt auch für ihre Kinder. Seltsamerweise schien die Zarin nicht den geringsten Anstoß daran zu nehmen, daß diese Äbtissin aus Frankreich sie mit „Figchen“, dem Kosenamen aus ihrer Kindheit, anredete.
„Du mußt mir aber jetzt erzählen, warum du noch so lange in Frankreich geblieben bist“, sagte Katharina. „Nachdem du das Kloster geschlossen hattest, hoffte ich, du würdest sofort nach Rußland kommen. An meinem Hof haben sich viele deiner Landsleute eingefunden, seit euer König auf der Flucht aus Frankreich in Varennes gefangengenommen wurde und ihn sein Volk ins Gefängnis geworfen hat. Frankreich ist eine Hydra mit zwölfhundert Köpfen, ein Staat, in dem die Anarchie herrscht. Diese Nation von Schuhmachern hat die Ordnung der Natur auf den Kopf gestellt!“
Es überraschte die Äbtissin, daß eine so aufgeklärte und liberale Herrscherin so etwas sagte. Man konnte nicht leugnen, Frankreich war gefährlich. Aber zählten nicht auch Voltaire und ein Diderot, zwei Befürworter der Gleichheit der Klassen und Gegner territorialer Kriege, zu den Freunden der Zarin?
„Ich konnte nicht sofort kommen“, erwiderte die Äbtissin. „Ich hatte noch einige Aufgaben zu erledigen -“ Sie warf einen fragenden Blick auf Plato Zubow, der hinter dem Sessel der Zarin stand und ihr den Nacken streichelte. „Ich kann über diese Dinge nur unter vier Augen mit dir sprechen.“
Katharina sah die Äbtissin schweigend an, dann sagte sie gleichgültig: „Valerian und Plato Alexandrowitsch, ihr könnt jetzt gehen.“
„Aber meine geliebte Hoheit...“ wandte Plato Zubow erschrocken ein, und es klang beinahe wie kindliches Gejammer.
„Du mußt nicht um meine Sicherheit fürchten, mein Täubchen“, sagte Katharina und tätschelte ihm die Hand, die noch immer auf ihrer Schulter lag, „Helene und ich kennen uns beinahe seit sechzig Jahren. Uns wird nichts geschehen, wenn wir ein paar Minuten alleine sind.“
„Ist er nicht hübsch?“ fragte Katharina die Äbtissin, als die beiden jungen Männer den Raum verlassen hatten. „Ich weiß, du hast einen anderen Weg gewählt, meine Liebe. Aber ich hoffe, du wirst mich verstehen, wenn ich dir sage, in seinen Armen ist mir wie einem kleinen Vogel, der sich nach einem langen, kalten Winter die Flügel in der Sonne wärmt. Nichts läßt die Säfte in einem alten Baum besser steigen als die zärtliche Zuwendung eines jungen Gärtners.“
Die Äbtissin schwieg. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob ihr ursprünglicher Plan wirklich klug sei. Trotz des freundschaftlichen und regelmäßigen Briefwechsels hatte sie ihre Jugendfreundin seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Beruhten die Gerüchte auf Wahrheit?
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