Katrin mit der großen Klappe
laut. „So
was von Mißtrauen! Als wenn sich irgend jemand für ihren blöden Kram
interessierte!“
Aber ganz plötzlich kam ihr die
Idee — möglicherweise hatte dieser Gedanke auch schon eine ganze Weile in ihr
rumort, ohne daß sie sich darüber klargeworden war — , einen Erkundungsgang
durch die Villa zu unternehmen. Noch nie war die Gelegenheit so günstig gewesen
wie jetzt. Die Gartentore und die Haustür waren verschlossen. Niemand konnte
sie überraschen.
Katrin kletterte über die
Hintertreppe in das sogenannte Servierzimmer, in das der Speiseaufzug aus der
Küche führte und in dem Silber, Tischgeschirr, Besteck, Vasen, Servietten und
Tischtücher aufbewahrt wurden.
Von dort aus kam sie in den
Speiseraum, dessen ganze Hinterwand die riesige, vergrößerte Fotografie einer
Gebirgslandschaft einnahm. Das anschließende Wohnzimmer war ein mächtig großer
Raum mit einem offenen Kamin, in den Holzkloben geschichtet waren. Zu diesem
Kamin führten Stufen hinab, er war von einer lederbezogenen Sitzbank umgeben,
die tiefer lag als der übrige Zimmerboden. Es gab noch eine andere Sitzecke im
Wohnzimmer, von der aus man einen Blick über den Garten hatte, wenn die
Gardinen aufgezogen waren. Aber jetzt waren sie natürlich zu.
Obwohl Katrin Weikerts nicht
mochte, mußte sie wohl oder übel zugeben, daß sie einen guten Geschmack hatten
und etwas mit ihrem vielen Geld anzufangen wußten. Alle Räume waren überaus
elegant und bequem eingerichtet, die Böden waren mit farbenfrohen
orientalischen Teppichen bedeckt, denen man ansah, wie teuer sie gewesen sein
mußten, und an einer Wand gab es sogar ein riesiges gesticktes Bild, einen
Gobelin, vor dem Katrin lange bewundernd stehenblieb. Er stellte eine Jagdszene
dar, Jäger und Jägerinnen waren darauf zu sehen, Pferde und Hunde, Eichhörnchen
und Hasen und ein prächtiger Hirsch mit einem stolzen Geweih. Die Darstellung
wirkte nicht wie eine wirkliche Jagd, sondern wie ein Spiel, das die Jäger und
die zutraulichen Tiere miteinander spielten.
Aber nach einer Weile hatte
Katrin sich satt gesehen. Sie warf einen Blick auf die alte englische Standuhr.
Es war immer noch zu früh, um die Mutter zu erwarten.
Sie kniete sich neben den
Plattenspieler auf den Teppich und zog Weikerts Fotoalben aus dem Regal, in die
sie schon einmal einen Blick hatte werfen können. Richtig, da war auch, das
Bild vom Eislaufplatz in Scuols-Tarasp, von dem sie ihren Mitschülerinnen
erzählt hatte. Alles war, wie sie es geschildert hatte, der blaue Himmel, die
Gipfel der weißen Berge, die bunten Fahnen.
Eine Sekunde lang war Katrin in
Versuchung, die Ansichtspostkarte herauszureißen, das wäre doch endlich ein
Beweis, den sieden Freundinnen hätte unter die Nase reiben können. Gerade noch
rechtzeitig fiel ihr ein, daß auf der Rückseite der Postkarte
höchstwahrscheinlich etwas stand, das ihre Herkunft verraten könnte.
Die Postkarte war in der Mitte
eingeklebt. Katrin hob die Ecken und versuchte, auf ihre Rückseite zu schielen
— da schrillte das Telefon.
Dieser helle, scharfe Laut, der
die Stille so unvermutet, ohne jede Vorwarnung, zerriß, ging Katrin durch Mark
und Bein. Sie ließ das Album fallen und sprang auf. Sie brauchte einige
Sekunden, um zu begreifen, daß der Anrufer sie weder sehen noch etwas von ihrem
Hiersein in dem Zimmer, in dem sie nichts zu suchen hatte, ahnen konnte.
Da, schon klingelte es wieder!
Katrin stand unentschlossen,
hin- und hergerissen. Die Versuchung war groß, es einfach vergeblich klingeln
zu lassen. Aber wenn es nun um etwas Wichtiges ging? Wenn eines von Weikerts
Auto verunglückt wäre?
„Unsinn!“ sagte sie laut. „Dann
würde man doch nicht ausgerechnet mich anrufen!“
Aber um was sonst konnte es
sich handeln? Wahrscheinlich war es einer von Weikerts Bekannten, der noch
nichts von ihrer Abreise wußte. Das war für sie noch lange kein Grund, den
Hörer abzunehmen.
Aber das Telefon klingelte und
klingelte.
Katrin hielt sich die Ohren zu.
Als sie nach einer Weile die Hände wieder herunternahm, klingelte das Telefon
noch immer — oder schon wieder?
Katrin ertrug es nicht mehr.
Sie trat an den Schreibtisch von Herrn Weikert und nahm den Hörer des weißen Telefons
ab. „Hier bei Weikert“, meldete sie sich, mit einer Stimme, die vor lauter
Aufregung klein und kratzig klang.
„Oh, Katrin, endlich!“ rief
ihre Mutter am anderen Ende der Leitung aus. Es klang sehr erleichtert.
„Du, Mutti?“ Katrin fiel ein
Stein vom
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