Katrin mit der großen Klappe
hatte sie das gar nicht gern. Sie
haßte es, bemitleidet zu werden, und sie wollte sich auch nichts schenken
lassen.
Aber es war Dezember geworden
und bitterkalt. Auf dem Eisplatz oder auf der Straße konnte sie nicht den
ganzen Nachmittag sein, und in die Villa von Weikerts konnte sie keine ihrer
Freundinnen mitnehmen. Was blieb ihr also anderes übrig, als mit der einen oder
anderen nach Hause zu gehen?
Sie aß und trank so wenig, wie
es irgend möglich war, ohne ihre Freundinnen und deren Mütter zu beleidigen.
„Nein, danke“, sagte sie immer.
„Ich habe gar keinen Appetit!“ Oder: „Ich bin gar nicht durstig!“
Und Frau Müller, Frau Kleiber,
Frau Helwig und Frau Heinze sagten zu ihren Töchtern: „Du solltest dir mal ein
Beispiel an Katrin nehmen! Das ist ein wirklich bescheidenes Kind!“
„Kunststück“, pflegten dann
Leonore, Ruth, Silvy und Olga zu entgegnen, „die kriegt ja auch zu Hause alles,
was sie haben will.“ Ach, wenn sie gewußt hätten, wie wenig beneidenswert sich
Katrin fühlte!
Verbotene Party
Weikerts besaßen noch ein
zweites Haus in den Bergen, ihr sogenanntes Landhaus, und es war beschlossene
Sache, daß sie die Weihnachtszeit dort verbringen würden. Da sie über die
Feiertage viel Besuch erwarteten — auch ihre verheirateten Kinder wollten
kommen — , mußten Frau Bär und Anette natürlich mit, und auch Kastor, der große
Collie, begleitete sie, denn draußen auf dem Lande würde er sich endlich
richtig austoben können.
Natürlich konnte Katrin nicht
mutterseelenallein in der Villa am Heckenrosenweg zurückbleiben, aber das war
auch nicht nötig, denn die Abreise von Weikerts fiel auf den Beginn der
Weihnachtsferien, die Katrin, wie jedes Jahr, bei ihrer Mutter verbringen
sollte. Die junge Frau Bär hatte versprochen, Katrin noch am gleichen Tag, wenn
das Haus leer wurde, abzuholen.
So nahm Katrin denn leichten
Herzens von ihrer Großmutter, Kastor und Anette Abschied — Weikerts brauchte
sie nicht Lebewohl zu sagen, sie pflegten von ihrer Existenz so wenig wie
möglich Notiz zu nehmen.
Zuerst fuhren Weikerts los, mit
vielem Gepäck in einem großen Auto, Kastor auf dem Hintersitz, dann folgte der
Kombiwagen mit Anette am Steuer und der Großmutter, die, noch im Abfahren,
durch das heruntergekurbelte Fenster Katrin die letzten Ermahnungen zurief.
„Bitte, mach keine Dummheiten,
Liebling...“
„Ach, woher denn, Omi!“
„Und grüß deine Mutter schön
von mir!“
„Wird gemacht, Omi!“
„Und vergiß den kleinen Koffer
mit den Geschenken nicht!“
„Bestimmt nicht...“ Katrin lief
noch ein Stück hinter dem Kombi her und winkte.
Dann drückte Anette aufs Gas,
der Wagen schoß davon, Katrin konnte nicht mehr Schritt halten und blieb
zurück. Sie schloß das Tor bei der Ausfahrt, lief durch den knirschenden Schnee
zum Haus hin. Der Garten lag winterlich verzaubert unter einer dicken
Schneedecke. Besonders hübsch sahen die Tannen aus, die ihr weißes Kleid
trugen, als wüßten sie, wie reizend es ihnen stand. Der Swimmingpool war längst
entleert und abgedeckt, Hollywoodschaukel und Gartenmöbel waren auf dem
Speicher verstaut.
Katrin war schon oft in die
Küche gekommen, ohne daß jemand unten war, und sie hatte sich nie etwas dabei
gedacht. Aber heute war die Verlassenheit des Hauses geradezu spürbar. Katrin
schauderte leicht. Oder fror sie, weil die Großmutter die Ölheizung vorsorglich
ausgeschaltet hatte? Sie faßte an einen der Heizkörper. Nein, sie waren noch
warm genug, es war die Einsamkeit gewesen, die sie frösteln machte.
Großmutter und Anette hatten
die Küche blitzblank und sauber verlassen, und daß sie so aufgeräumt war, ließ
sie noch leerer erscheinen. Auch in dem Zimmerchen, in dem Katrin zusammen mit
ihrer Großmutter wohnte, stand alles auf seinem Platz. Das Bett und die Couch
waren gemacht, Katrins Koffer stand gepackt auf dem Sessel, ihr Anorak, ihre
Mütze und ihre Handschuhe lagen darüber, die Schlittschuhstiefel daneben.
Es gab nichts mehr für Katrin
zu tun, als zu warten.
Aber sehr rasch begann ihr die
Zeit lang zu werden. Sie ging ins Bad, wagte nicht, sich die Hände zu waschen,
weil Becken und Wanne so blank geputzt waren, drückte die Klinke zu Anettes
Zimmer nieder. Die Türe ließ sich nicht öffnen.
Von Neugier gepackt lief Katrin
durch die Küche und den Gang und rüttelte an der anderen Türe. Auch sie gab
nicht nach. Anette hatte wohlweislich abgeschlossen.
„Ziege!“ sagte Katrin
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