Katrin mit der großen Klappe
Herzen.
„Ja, natürlich ich! Ich habe
gewartet und gewartet...Warum bist du nicht gleich ans Telefon gegangen?“
Katrin schlug sich mit der
freien Hand vor die Stirne. Erst jetzt fiel ihr ein, daß es ja auch unten neben
der Küchentür einen Apparat gab, von dem aus ihre Großmutter oder Anette
Bestellungen durchzugeben pflegten. Wie hatte sie nur so dumm sein können! —
„Ich habe gedacht, es wäre für Weikerts“, sagte sie laut. Auf den Gedanken, daß
ihr schlechtes Gewissen ihr einen Streich gespielt hatte, kam sie gar nicht.
„Dann hättest du trotzdem
abnehmen sollen“, erwiderte die Mutter. „Aber das ist jetzt egal. Warum ich
überhaupt anrufe... stell dir nur vor, an meinem Auto ist etwas nicht in
Ordnung. Ich bin hier in einer Reparaturwerkstatt, und eben habe ich erfahren,
daß der Schaden nicht vor morgen mittag behoben sein wird.“
„Oh!“ sagte Katrin maßlos
enttäuscht.
„Es tut mir bestimmt genau so
leid wie dir, Liebling“, versicherte ihre Mutter, „aber ich kann’s nicht
ändern.“
„Das weiß ich ja, Mutti“, sagte
Katrin mit mühsamer Tapferkeit. „Es ist ja auch gar nicht so schlimm. Ein Tag.
Was tut das schon?“
„Traust du dir zu, allein in
dem leeren Haus zu bleiben?“
„Warum nicht, Mutti? Ich habe
keine Angst, das weißt du doch!“
„Ja, ich weiß, du bist mein
tapferes Mädchen. Also bleib schön brav und paß auf dich auf... Morgen können
wir uns dann alles erzählen.“
„Ja, Mutti!“
„Bis morgen, Liebling!“
„Ja, bis morgen!“ Dann knackte
es in der Leitung, und die Verbindung war unterbrochen.
Langsam legte Katrin den Hörer
auf die Gabel zurück. Seit langem nicht mehr hatten ihr die Tränen so locker
gesessen wie in diesem Augenblick. Aber sie wollte nicht nachgeben, nein, sie
wollte nicht! Sie holte tief Atem, schluckte alles hinunter, was an Kummer und
Enttäuschung aus ihrem Herzen aufsteigen wollte, zwang sich sogar zu einem
Lächeln. Es war ein recht schiefes Lächeln, mehr eine Art Grinsen, aber
immerhin, Katrins Geheimrezept wirkte auch diesmal prompt.
„Man muß auch dann lächeln,
wenn einem nicht danach zumute ist“, sagte sie laut, „dann sieht alles gleich
viel fröhlicher aus.“
Ihr Blick fiel auf ein großes,
silbergerahmtes Foto, das auf Herrn Weikerts Schreibtisch stand und eine
Gruppenaufnahme seiner drei Enkelkinder zeigte..
Der Einfall, den sie jetzt
hatte, kam ganz plötzlich, sozusagen wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf sie
nieder — oder wäre es richtiger zu sagen, daß ein Teufelchen ihr ins Ohr blies?
Sie rannte hinunter in die
Küche, öffnete die Türe zum Besenschrank, riß den Stapel alter Zeitungen
heraus, der hier aufbewahrt wurde, nahm ihn auseinander. Sie wußte, Was sie
suchte, und fand es rasch — eine Jugendzeitschrift mit vielen Schlager- und
Filmstarbildern, die Anette zu lesen pflegte.
Die vier alten Exemplare dieser
Zeitschrift nahm sie mit nach oben, eine Schere dazu, und machte sich ans Werk.
Zuerst nahm sie alle Bilder mit Fotos, die es in Weikerts Räumen gab, und das
waren nicht wenige, auseinander, dann suchte sie die Filmstarfotos aus, die in
der Größe auf die Fotos paßten, schnitt sie aus, legte sie über die echten
Fotos und unter Glas — die Wirkung war toll! Es sah tatsächlich so aus, als
hätten Weikerts ihre Behausung mit echten Fotos von Schauspielern gepflastert.
In Katrins Phantasie war es schon nicht mehr Weikerts Villa, sondern das Haus
ihres eigenen berühmten Phantasievaters.
Sie setzte sich hinter den
Schreibtisch, zog das Telefonbuch an sich, suchte die Nummer von Silvy Heinzes
Eltern heraus und wählte sie. Frau Heinze meldete sich und holte ihre Tochter
an den Apparat.
„Hei, Silvy...“, sagte Katrin
so blasiert wie möglich.
„Wer spricht denn da?“ fragte
Silvy, die Katrins Stimme nicht erkannte, weil sie bisher noch nie mit ihr
telefoniert hatte.
„Dreimal darfst du raten...“
„Meine Mutter sagt eben... ist
es wahr, du, Katrin?“
„Genau!“ Katrin schlug die
Beine übereinander, warf ihre schwarze Mähne in den Nacken. „Du wolltest mich
doch immer so gerne zu Hause besuchen, Silvy... heute ist es soweit! Ihr könnt
kommen, sagen wir gegen drei Uhr. Richtest du es den anderen aus?
„Ist das wahr, Katrin? Ist das
kein Witz?“ rief Silvy begeistert und doch ein wenig mißtrauisch. „Nicht, daß
wir nachher vor geschlossenen Türen stehen, meine ich...“
Katrin konnte ihren Trumpf
nicht länger für sich behalten. „Dann könnt
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