Katrin mit der großen Klappe
dem
Ellbogen in die Seite und tuschelte ihr zu: „Das geschieht ihr recht...“
Sie hatte sehr, sehr leise
gesprochen. War es möglich, daß die Lehrerin es dennoch gehört hatte?
Jedenfalls fuhr sie fort. „Und ihr anderen werdet euch, da bin ich sicher,
Katrin gern anschließen, denn etwas Interessantes wird ja jede von euch erlebt
haben. Damit ihr Zeit genug habt, sagen wir, Ablieferungstermin heute in acht
Tagen...“
Katrin war fassungslos, nicht
wegen des Aufsatzes, sondern weil sich Leonore so sonderbar benommen hatte.
Jetzt konnte sie nicht mehr daran zweifeln, daß die ablehnende Haltung der
Freundinnen eine abgekartete Sache war.
Sie nahm sich vor, zunächst so
zu tun, als wenn sie von der Feindseligkeit nichts merkte.
Als die große Pause kam, hatte
sie eine, wie ihr schien, glänzende Idee. Sie stürmte als erste aus der Klasse
und rannte, so schnell sie konnte, zu dem Lieblingsplatz der Freundinnen, dem
Bretterstapel, hin. Er stand in einem so geschützten Winkel, daß er nicht
einmal eingeschneit war. Jetzt, gegen zehn Uhr früh, lag er im Licht der klaren
Januarsonne.
Katrin nahm einen Anlauf,
schwang sich hinauf und rief den Freundinnen zu: „Ich habe unseren Platz
erobert!“ Sie drückte beide Arme durch, stemmte die Fäuste links und rechts auf
das glatte Holz und machte sich so breit wie möglich. Ihr Herz tat einen
kleinen, frohen Hüpfer, als sie sah, daß die Freundinnen tatsächlich näher
kamen.
„He, beeilt euch!“ rief sie
ihnen zu. „Oder wollt ihr eine Extraeinladung haben?“
Olga, Silvy, Ruth und Leonore
hatten sich beieinander eingehakt, schlenderten heran, übertrieben eifrig
plaudernd, die Köpfe zusammengesteckt. Katrin streckte schon die Hände aus, um
der ersten von ihnen zu sich zu helfen.
Aber sie taten, als wenn sie es
gar nicht merkten, schritten, ohne auch nur einmal hinzugucken, an Katrin auf
ihrem erhöhten Sitz vorbei.
„Seid ihr verrückt? Was ist los
mit euch?“ schrie Katrin.
Aber da stürmten auch schon die
Mädchen von der achten Klasse herbei. „Runter mit dir!“ riefen sie. „Heute sind
wir dran!“
„Das könnte euch so passen!“
rief Katrin zurück. „Ich war als erste da!“
„Los, freiwillig runter mit
dir, oder du kannst was erleben!“ Die großen Mädchen formten Schneebälle und
ließen ein wahres Bombardement auf Katrin los.
„Hilfe! Hilfe! Leonore...
Silvy, Ruth, Olga... helft mir doch!“
Aber die Freundinnen stellten
sich taub und verzogen sich tiefer in das Wäldchen hinein.
Verbissen versuchte Katrin den
Ansturm der Achten abzuschlagen. Aber die waren in der Überzahl. Als sie Katrin
mit ihren Schneebällen nicht vertreiben konnten, packten sie sie von hinten,
zogen sie in den Schnee hinunter und wuschen sie.
In der nächsten Schulstunde saß
Katrin wie ein geschundener Krebs auf ihrem Platz. Ihre Haut war rot von dem
eiskalten Schnee und zerschrammt von den Steinchen, die sich in den Schnee
verirrt hatten. Aber sie spürte die Schmerzen kaum. Viel, viel tiefer war die
Qual in ihrem Herzen. Sie hatte begriffen, daß sie von nun an eine Ausgestoßene
sein würde.
Leonore, Silvy, Olga und Ruth
hatten sich vorgenommen, kein Wort mehr mit Katrin zu sprechen und sie ganz
links liegen zu lassen, und sie führten ihren Vorsatz auch aus, obwohl es ihnen
manchmal schwer genug fiel und der einen oder anderen fast ein Wörtchen
unversehens über die Zunge geschlüpft wäre.
Katrin fühlte sich innerlich
ganz krank von der feindseligen Haltung der anderen, und wie eine Kranke hoffte
sie von Tag zu Tag, daß alles besser werden würde. Aber nichts wurde besser,
eher schlechter, denn die Freundinnen bekamen immer mehr Übung darin, böse zu
sein.
Vielleicht hätte Katrin
versuchen können, sich irgendeiner anderen Gruppe in der Klasse anzuschließen.
Aber dazu hatte sie einfach keine Lust.
Und die anderen schnitten
Katrin zwar nicht, aber sie benahmen sich auch nicht besonders nett ihr
gegenüber. „Na, du Angeberin!“ sagten sie und: „Wie geht’s deinem berühmten
Vater? Wenn du ihn das nächste Mal siehst, dann laß dir doch bitte ein
Autogramm für mich geben!“ Und dabei wollten sie sich halbtot lachen.
Natürlich war Katrin klug genug
zu begreifen, um was es hier ging: die anderen hatten herausgefunden, daß die
Sache mit ihrem Filmschauspielervater ein aufgelegter Schwindel von ihr gewesen
war und daß sie in der Weikertschen Villa nur geduldet wurde. Sie begriff zwar
nicht ganz, warum die anderen so böse deswegen
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