Katrin mit der großen Klappe
auf sie waren — eine lautstarke
Auseinandersetzung hätte ihrer Meinung nach als Strafe völlig genügt aber, ach,
wie gerne hätte sie alles zurückgenommen und ungeschehen gemacht.
Sie nahm sich ernsthaft vor,
sich zu bessern, dann mußten die anderen sie doch wieder in ihren Kreis
aufnehmen. Wenn sie doch nur mit ihr geredet, wenn sie sie doch nur einmal
richtig angehört hätten!
Von einem Tag zum anderen schob
sie die Niederschrift ihres Aufsatzes auf, bis sie sich endlich an einem
Sonntagnachmittag an die Arbeit machte. Anette hatte Ausgang, die Großmutter
hatte sich in ihrem Zimmer aufs Ohr gelegt, und Katrin saß in Weikerts großer
Küche und lutschte am Stiel ihres Patronenfüllers.
Was sollte sie schreiben? Oh,
es wäre ihr nicht schwergefallen, sich die tollsten Ferienabenteuer in einem
Winterkurort auszudenken. Aber wem konnte sie noch damit imponieren? Niemandem.
Katrin wußte genau, es gab keinen Menschen, der ihr auch nur ein
Sterbenswörtchen von ihren Schwindeleien glauben würde.
So faßte sie einen großen
Entschluß: sie wollte die Wahrheit schreiben.
Als sie einmal damit angefangen
hatte, ging es wunderbar, viel leichter, als sie sich vorzustellen gewagt
hatte. Es war die Hoffnung, die sie anfeuerte, die Hoffnung, daß alles wieder
gut werden würde. Ihr Aufsatz war ein Bekenntnis und eine Buße zugleich.
Am Montag schrieb sie ihn ins
reine, und als sie ihn am Dienstag fix und fertig mit zur Schule nehmen konnte,
da hatte sie das Gefühl, als wäre das Schlimmste schon überstanden.
Zufällig ergab es sich, daß sie
Leonore Müller vor sich her gehen sah, allein und gar nicht besonders schnell,
denn es war noch reichlich Zeit bis zum Schulanfang.
Katrin nahm allen Mut zusammen
und rannte hinter ihr her. „Leonore!“ rief sie atemlos.
Aber Leonore sagte nichts und
sah sie nicht an.
Katrin blieb an ihrer Seite.
„Leonore“, sagte sie, „ich verstehe ja, daß ihr böse auf mich seid. Das war
wirklich ein toller Schwindel, den ich da aufgelegt habe. Aber ich habe nicht
gedacht, daß ihr euch so darüber aufregen würdet. Jetzt tut es mir leid,
ehrlich.“
Leonore blickte starr weiter
geradeaus.
„Bitte, sei mir doch nicht mehr
böse!“ bat Katrin ganz zerknirscht.
Was ging in diesem Augenblick
in Leonore vor? Sie war nahe daran, sehr, sehr nahe daran, Katrin zu verzeihen.
Aber dann dachte sie an die anderen, die sie für eine Verräterin halten würden,
und sie erinnerte sich, wie sie sich blamiert hatte, weil sie immer für Katrin
Partei ergriffen und ihre Lügengeschichten geglaubt hatte. Sie kämpfte einen
schweren Kampf mit sich.
Wer weiß, ob nicht doch
Leonores besseres Ich gesiegt hätte, wenn Katrin nur ein bißchen geduldiger
gewesen wäre. Aber Katrin ahnte nicht, was hinter Leonores Stirn vor sich ging,
sie sah nur das kalte ablehnende Gesicht der früheren Freundin.
„Wenn du nicht willst“, rief
sie zornig, „dann laß es eben bleiben. Bilde dir bloß nicht ein, daß ich auf
dich angewiesen wäre. Ich komme genauso gut ohne euch und eure blöde Clique
aus!“ Und dann rannte sie an Leonore vorbei und auf die Schule zu — um keinen
Preis wollte sie Leonore sehen lassen, daß heiße Tränen aus ihren Augen sprangen,
nein, um keinen Preis.
Bis die Schulglocke läutete,
schloß Katrin sich im Waschraum ein, und als sie die Klasse betrat, war ihr
Gesicht so gleichgültig, wie wenn sie völlig mit sich und der Welt zufrieden
wäre.
Von nun an sprach sie mit
keinem Mädchen mehr, behandelte die anderen genauso, wie sie sie behandelten,
nämlich als Luft. Aber weder sie noch die anderen gewöhnten sich an diesen
Zustand. Die feindliche Spannung zwischen ihnen wirkte auf alle bedrückend. Nur
war sie für die Freundinnen leichter zu ertragen, weil sie miteinander sprachen
— aber Katrin war ganz allein.
Der Kummer und der Zorn
drückten ihr das Herz ab, sie preßten regelrecht ihren Magen zusammen, und wenn
sie früher schon sehr wenig gegessen hatte, so aß sie jetzt so gut wie nichts mehr.
Sogar ihr Schulbrot verfütterte sie an die Vögel.
Oft lag sie nachts wach und
konnte nicht schlafen. Aber sie durfte sich nicht rühren, weil sie sonst die
Großmutter gestört hätte. Nicht einmal weinen durfte sie, denn die alte Frau
Bär hatte einen leichten Schlaf. Sie lag nur mit offenen Augen im Bett, starrte
in die Dunkelheit und dachte voll Grausen an den nächsten Schultag. Am liebsten
hätte sie nie mehr die schöne Parkschule besucht, wäre ausgerissen und in
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