Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
aufgeschrieben .«
»Haben die gesagt, was sie wollen ?«
»Ja. Ich habe mich einfach als deine Mitarbeiterin ausgegeben. Der Typ wollte anfragen, ob du Interesse hast, ein Buch übers Fotografieren zu schreiben. Die haben da so eine Art Hobbyreihe .«
»Eine Anleitung für Hobbyfotografen? Also, ich weiß nicht, klingt nicht gerade nach einer spannenden Herausforderung. Das kann ich außerdem, glaub ich, gar nicht. Zuviel Text, zuwenig Bilder.«
»Ich kann dir ja beim Formulieren helfen. Das hört sich doch ganz gut an. Außerdem ist die Reihe, soviel ich weiß, recht erfolgreich. Ich hab die Bände schon im Buchladen gesehen .«
Katrin war immer noch nicht überzeugt. Sie setzte sich auf den Küchenstuhl und starrte aus dem Fenster. »Ich glaube, das ist nicht mein Ding .«
» Überleg’s dir. Ich habe gesagt, dass du im Laufe des Tages zurückrufst. Ich muss übrigens nachher mal kurz ’ rüberfahren .« Roberta setzte sich zu Katrin an den Tisch.
»’ Rüberfahren ?«
»Ja, nach Hause.« Sie seufzte. »Nach Hause, wie komisch das klingt. Ich habe gerade mal sechs Wochen in diesem Haus gelebt. Na ja, auf jeden Fall muss ich hinfahren. Mir fehlen ein paar Klamotten. Es wäre mir lieb, wenn du mitkommen würdest, als moralische Unterstützung. Peter ist zwar tagsüber normalerweise nicht da, aber ich krieg wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch, wenn ich allein in das Haus gehe. Diese ganze verdammte Situation ist so verfahren. Ich dachte, wir holen die Kinder von der Schule ab und dann fahren wir eben da vorbei. Okay?«
»Okay. Hat Peter sich immer noch nicht gemeldet ?«
Roberta schüttelte den Kopf. »Der ist stur. Wir sind es beide, das ist das Problem .«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor .« Katrin lächelte müde. Sie sah Claudia Heinrichs Foto auf dem Tisch liegen. Es war eine Vergrößerung, die sie zusätzlich zu den Einzelportraits der fünf Kinder angefertigt hatte; das Original hatte sie Halverstett gegeben. Gedankenverloren betrachtete sie es.
»Guck dir diese Kinder an: glücklich und unbeschwert. Die lachen in die Kamera, als gehöre ihnen die Welt. Sie haben keine Ahnung, dass irgendwann später etwas passieren wird, dass ihr Leben für immer verändert, etwas, das einen von ihnen zum Mörder werden lässt, der die anderen nacheinander grausam umbringt. Ist das nicht verrückt? Im einen Augenblick sind wir glücklich, und im nächsten ist alles vorbei .«
»Nur gut, dass wir nicht im Voraus wissen, wann dieser Augenblick kommt.« Roberta nahm Katrin das Foto aus der Hand.
»Wie meine Kinder«, sagte sie leise, »Gerade noch waren sie eine glückliche Familie, und im nächsten Moment sind sie zerrissene Scheidungskinder .«
»Sag nicht so was. Das wird schon wieder .«
Roberta starrte gebannt auf das Foto.
Katrin zerrte an ihrem Arm. »Leg das jetzt weg. Das macht uns noch ganz melancholisch .«
»Nein, warte, da ist etwas. Guck mal, da in den Büschen. Sieht das nicht aus wie – ?«
Katrin riss Roberta das Foto aus der Hand. Sie trat ans Fenster, um besser sehen zu können, und runzelte ungläubig die Stirn. Das konnte nicht sein. Sie hatte das Bild eigenhändig vergrößert, hatte die Kindergesichter auseinander geschnitten und Einzelporträts angefertigt. Und sie hatte es übersehen. Sie hatte sich so auf den Vordergrund konzentriert, dass sie den Rest des Fotos gar nicht genau wahrgenommen hatte. Aber es war da. Zwischen dem dichten Laubwerk der Büsche konnte man es eindeutig erkennen. Da war ein blasses, schmales Gesicht. Auf dem Foto waren keine fünf Kinder abgebildet, sondern sechs.
Manfred Kabritzky schritt gemächlich die Regale ab und studierte die Aufschriften der Ordner.
»Kann ich dir irgendwie helfen ?« , fragte jemand hinter ihm.
Dieter Wintrup verwaltete seit fast zwanzig Jahren das Archiv des Morgenkuriers. Er hatte als junger Mann einen schweren Motorradunfall gehabt, und seitdem hinkte er leicht. Jetzt schob er seine dicke Hornbrille die viel zu kurze Nase hoch, eine Handbewegung, die er unzählige Male am Tag wiederholte.
»Ich suche die Siebzigerjahre«
»Geht’s auch etwas genauer ?«
»Vermutlich 76 oder 77. Kann aber auch ein, zwei Jahre früher oder später sein .«
Wintrup verzog das Gesicht.
»Was suchst du ?« , fragte er dann, wobei er jedes Wort betonte, als spräche er zu jemandem, der der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig ist. »Ich brauche das Ereignis, nicht die Jahreszahl .«
Dieter Wintrup war stolz darauf, dass er
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