KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

es wohl weiter gehen wird«. Ich kenne mich zwar im Verlagsgeschäft nicht aus, aber es langt doch für das Gefühl, dass das nicht gerade gang und gäbe ist. Typisch Sonia eben. Ich musste ihren Brief gleich zwei Mal lesen. Und da erst fiel dieser Zeitungsausschnitt aus dem Umschlag, den ich zuerst glatt übersehen hatte: ein Artikel aus der Süddeutschen mit einem Foto von Harry, dem neuen »Shootingstar« aus Rosenheim, einem örtlichen Vertreter der Industrie- und Handelskammer und einem Typen, den ich schon mal im Fernsehen gesehen habe. Aber nur für ein paar Sekunden, und zwar exakt so lange, wie ich brauchte, um die Fernbedienung aus der Sofaritze zu angeln und das Programm zu wechseln. Na wie auch immer: Alle drei stehen also vor «Harry’s Haarstudio« und grinsen in die Kamera, als stünde das Christkind vor der Tür. Harry zumindest hat tatsächlich Grund zum Grinsen. Seit Sonia ihre ganzen Freunde und Bekannten auf diesen Meisterfigaro vom Lande aufmerksam gemacht hat, ist es anscheinend schick geworden, sich von ihm stylen zu lassen. Wie eben auch dieser Typ vom Fernsehen, den Harry auf dem Foto sehnsüchtig aus dem Augenwinkel anschmachtet, weil der – wie Harry den Lesern sein süßes Geheimnis verrät – im »richtigen Leben wirklich genauso nett ist wie im Fernsehen!«
    Ich bin gerührt! Vielleicht sollte ich Schwester Kerstin heute ausnahmsweise Mal um eine Schlaftablette bitten. Pille einpfeifen, auf die Seite drehen, bis zum Einsetzen der Wirkung die Decke anstarren oder Wilfried beim Kratzen zugucken oder Hermann ... na ja, vielleicht doch lieber die Zimmerdecke.
    Und dann von Sonia träumen! Aber was? Ich bin verwirrt über das, was ich will, fühle, kenne, weiß, nicht verstehe und doch ersehne. Und gleichzeitig erregt. So wie ein Kind, das zum ersten Mal, ganz ohne fremde Hilfe, alleine Fahrrad fährt, schlingernd zunächst, dann immer sicherer, den kühlen Wind auf erhitzten Wangen und in schweißnassen Haaren, durchzuckt von Stolz und Glücksgefühlen und der Erkenntnis, dass von jetzt an alles anders sein wird.
    »Ich lebe in zwei Welten. In beiden gerne und in völliger Übereinstimmung mit mir selbst« hatte Sonia gesagt. Und ich will zu diesen Welten gehören, zumindest doch zu einer von ihnen. Als Bruderstern, als Partnerplanet oder – warum nicht? – vielleicht auch als verliebter Satellit, der aus seiner dunklen, kalten Umlaufbahn Botschaften der Zuneigung zur hellen Oberfläche funkt. Denn eins steht fest: Von allen Frauen – und auch Männern, ha, ha –, die ich kenne, ist Sonia mit Abstand die aufregendste, intelligenteste und schönste. Jemand mit dem ich nicht nur reden, sondern auch unbekümmert schweigen kann. Jemand, den ich gerne um mich habe wie die Pflanze das Stück Erde, das sie leben lässt. Sonia fordert mit betörender Leichtigkeit vom Leben ihren Anteil. Wenn auch mit einem gewissen Hang zur Übertreibung, was das Geschlechtliche betrifft. Muss ich zugeben.
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Über den Autor
    Matthias Zipfel wurde 1959 in Itzehoe geboren. Nach Schule, Abitur, Fotografie-Studium in Köln und anschließendem Volontariat in einem süddeutschen Zeitschriftenverlag war er viele Jahre als leitender Redakteur bei einer Münchner Publikumszeitschrift tätig. 2005 entschied er, sich als freier Journalist und Autor selbstständig zu machen. Und das haben die Leser jetzt davon.
    Matthias Zipfel ist verheiratet und lebt mit Frau und adoptierter Katze abwechselnd in Norddeutschland und auf Lanzarote.

Weitere eBooks von Matthias Zipfel

     
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