Katzenmond

stand. Drei Uhr zehn.
    Ich stellte mich neben ihn und machte mich bereit. Er hatte keine Ahnung, dass ich hier war und wartete. Wusste nicht, dass er gleich sterben würde. Während ich auf ihn hinabstarrte und mich bemühte, meine Emotionen im Zaum zu halten, spürte ich tief im Inneren einen Funken aufflackern. Das war er – Greta hatte mich gelehrt, nach diesem Auslöser zu suchen.
    Er begann als schwaches Flackern, doch ich fachte ihn an, blies darauf, ermunterte ihn, und rasch loderten die Flammen hoch auf. Als ich mein Ziel wieder ansah, glich Wylie nicht mehr dem Mann, den ich kannte, sondern einem Leuchtfeuer, das jeden Moment explodieren könnte. Der Drang, ihn an mich zu ziehen, ihn in meine Arme zu reißen, war so stark, dass ich mich beherrschen musste, während ich abwartete, bis die Uhr die letzten Sekunden gezählt hatte.
    Und dann griff er sich plötzlich an den linken Arm und starrte mit verängstigtem Gesicht direkt zu mir auf.
    »Delilah …« Dieses geflüsterte Flehen war sein letztes Wort, er begann schon seinen Körper zu verlassen. Ehe er entkommen konnte, berührte ich ihn und sog seine Erinnerungen tief in meinen Geist. Wir verschwanden in eine Welt aus Nebel und Schatten, wo die schmale Mondsichel von hoch oben auf uns herabschaute.
    Und dann …
    Ein Blitz.
Wylie saß in einem Raum, zusammen mit anderen Kojotewandlern, aber ich spürte gleich, dass sie nicht zur hiesigen Gemeinschaft gehörten. Sie waren um einen Tisch versammelt, der mir seltsam bekannt vorkam. Den hatte ich schon einmal irgendwo gesehen. Ich zermarterte mir das Hirn, kam aber nicht darauf, woher ich die Schnitzereien auf der Tischplatte kannte.
    Dann ging die Tür auf und Van und Jaycee traten ein, zusammen mit einem weiteren Mann – groß, kahlköpfig und mit einer gefährlichen Ausstrahlung. Wie Vin Diesel, aber mit mürrisch verzogenen Lippen statt eines anziehenden Lächelns. Er trug einen Anhänger mit einem prachtvollen Saphir in der Mitte.
Eins der Geistsiegel.
Er berührte es mit den Fingern, und ich spürte einen Kampf der Energien, als er einen dunklen Geist durch das Siegel rief …
    Blitz.
Ein uralter Mann reckte die Hände in die Luft, und ein Feuersturm rollte aus seinen Fingern und zerstörte ein ganzes Dorf. Dicker Rauch stieg von den brennenden Häusern auf, und die Schreie von Frauen und Kindern hallten durch die Aschewolken vor dem Himmel. Flammen sprangen von Strohdach zu Strohdach, und die Stadt brannte vollständig nieder. Der Hexer begann zu lachen, als Leute sich auf die Straße flüchteten, lodernd wie lebende Fackeln. Ein kleines Mädchen blickte zu ihm auf und streckte ihm die Hände hin, und er hüllte es in einen weiteren Feuerstoß.
    Blitz.
Wylie übergab Van und Jaycee ein dickes Bündel Geldscheine zusammen mit einem Blatt Papier. Ich beugte mich vor und sah, dass es sich um den ausgedruckten Terminplan des ÜW -Gemeinderats handelte. Ein widerliches Grinsen kroch über sein Gesicht, und er sagte: »Diese Idioten sollen erfahren, warum man den Koyanni besser nicht in die Quere kommt.«
    Blitz.
Wylie begrüßte einen Mann, der unendlich alt zu sein schien und ebenso wahnsinnig. Er wirkte verschlagen, und der Gestank von Tod und Verwesung hing schwer um ihn in der Luft.
    Blitz.
Wylie schlug eine Frau, die vor ihm kauerte und sich gegen seine Schläge zu schützen versuchte, beinahe besinnungslos. Als sie zur Tür kroch, versetzte er ihr einen Tritt. »Raus hier, du Miststück. Und nimm deinen verdammten Hosenscheißer mit.« Da erst sah ich den kleinen Jungen, der in einer Ecke stand, den Daumen im Mund, und die Szene weinend und mit großen Augen mit ansah.
    Blitz.
Wylie wieder mit Van und Jaycee, und er sprach mit jemandem, der so bleich war, dass er todkrank aussah. Dann lachte der Mann, und hervorblitzende Fangzähne sagten mir, dass er ein Vampir war. Er schob Wylie ein Bild von Trixie über den Tisch, und Wylie nickte.
    Angewidert knallte ich die Tür zu seinen Erinnerungen zu. Ich hatte genug gesehen. Als ich Wylie am Kragen packte und hochriss, wandte er mir den Kopf zu.
    »Was machst du mit mir? Was ist hier los?« Angst flackerte in seinen Augen, doch das war mir gleichgültig.
    »Feuer der Leere, ich gebiete euch, kommt herbei. Reinigt diese Seele, lasst sie durch eure Mitte gehen.« Während Wylie noch zappelte, hallte ein Brüllen von oben durch den wirbelnden Nebel, und mit dem Nachtwind kam eine Feuerwalze auf uns zugestürmt. Der Sturm traf zuerst auf uns, und ich