Katzenmond
starrte sie an und zupfte nervös an meinem Gewand. Ich wollte das nicht tun. »Wie wird er sterben?«
»Er hat ein schwaches Herz. Während er seinen Film schaut, wird der Rhythmus erlahmen und plötzlich erstarren. Für ihn ist ein Herzstillstand vorgesehen, und er wird keine Zeit mehr haben, das Telefon zu erreichen und Hilfe zu rufen. Du musst bereit sein, seine Seele einzusammeln, wenn er stirbt. Du wirst ihre Bilder begutachten und dann seine Seele der Vergessenheit anheimgeben.« Die Worte drangen als neutrale Information aus ihrem Mund. Für sie war das ein alter Hut.
»Du hast das schon so oft gemacht … wird es mit der Zeit leichter?« Ich schaute zu Wylie hinüber, der offenbar keine Ahnung hatte, dass er in wenigen Minuten sterben würde und seine Seele in die Vergessenheit verworfen werden sollte, um gereinigt wieder im Urgrund zu beginnen. Ein Teil von mir hätte ihn am liebsten gewarnt, ihm eine Chance gegeben, in Ordnung zu bringen, was immer er falsch gemacht haben mochte, doch das kam nicht in Frage.
»Nein. Aber mit jedem Mal verstehe ich meinen Platz in der Welt ein wenig besser. Und das wirst du auch, im Laufe der Zeit. Erinnerst du dich an den Ritus, den ich dich gelehrt habe?« Sie wartete geduldig und drängte mich nicht.
Langsam nickte ich. Ich kannte den Ritus, den ich gelernt hatte, doch mir war bisher nicht richtig bewusst gewesen, dass ich ihn auch würde anwenden müssen. Jetzt konnte ich der Realität nicht mehr ausweichen: Ich war eine Todesmaid, zwar noch in Ausbildung, doch die Zeiten, in der ich nur als Zuschauerin danebengestanden hatte, waren endgültig vorbei. Ich konnte den Titel wohl kaum tragen, ohne ihn mir zu verdienen.
»Ja, ich kenne ihn. Du hast gesagt, ich müsse seine Seele durch meine nehmen?« Das hatte ich versehentlich ein paarmal gemacht, aber nie bewusst.
Sie nickte. »Großmutter Kojote hat es so angeordnet.«
Wenn die Ewigen Alten auch nur einen Vorschlag machten, war das praktisch ein Befehl. Auch wenn man ein Gott war. Oder eine Todesmaid. Ich wappnete mich und ging in Gedanken die einzelnen Schritte durch, bis ich sicher war, dass die Reihenfolge stimmte. Während ich Wylie anstarrte, bemühte ich mich, etwas anderes in ihm zu sehen als einen netten Bekannten. Wenn er tatsächlich so große Geheimnisse verbarg und das Gleichgewicht der Welt gestört hatte, gab es vielleicht etwas, das ich nicht wusste und das es mir leichter machen könnte. Doch das würde ich nur herausfinden, indem ich den Ritus durchführte.
Ich sah Greta an, die mich genau beobachtete. »Das ist eine Prüfung, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich dich auf die Probe stellen wollte, würde ich dafür einen Freund wählen – jemanden, den du gernhast. Um zu prüfen, ob du es dennoch tun kannst.«
»Musstest du schon einmal die Seele eines Freundes … ernten?« Unsere Blicke trafen sich, und ich sah ihr fest in die Augen. Ich wollte ihre Reaktion sehen.
Sie hielt meinem Blick ruhig stand und blinzelte dann langsam. »Ja.« Ihre Stimme war ein Flüstern im Wind, wie das Rascheln vertrockneter Maishülsen. »Meine eigene Mutter.«
Ich senkte den Kopf. Das zu tun, konnte ich mir nicht vorstellen. »Tut mir leid. Ich … das war sicher sehr schwer zu ertragen.«
»Es war schwierig. Ich habe zu viel über sie erfahren. Dinge, die ich lieber nicht gewusst hätte. Aber sie ist ins Jenseits weitergegangen, und nach einer Weile bin ich darüber hinweggekommen. Es hat mir geholfen, von wie vielen sie im Leben geliebt wurde, und ihre Geheimnisse waren nicht von einer Art, dass ich mir gewünscht hätte, nicht ihre Tochter zu sein.« Greta legte mir eine Hand auf den Arm. »Du wirst es nicht bereuen, das zu tun. Und du hast gar keine andere Wahl. Du bist eine Dienerin unseres Herrn. Er hat diese Aufgabe dir zugewiesen – und Großmutter Kojote hat dich dafür angefordert.«
Ich straffte die Schultern. Zeit, sich zusammenzureißen.
Ich nickte Greta zu und sagte: »Ich bin bereit. Wann …?«
Ich musste warten, bis er an der Schwelle des Todes stand, ehe ich ihm die Seele aus dem Leib sog. Das konnte ich auf verschiedene Art und Weise tun. Bei jenen, die mutig gewesen waren, die einen Heldentod verdienten, würde ich sie mir mit einem Kuss nehmen. Bei Wylie nicht.
Sie schloss kurz die Augen. »Du hast noch … Wenn diese Uhr zwölf nach drei anzeigt, wird sein Herz versagen, und du wirst seine Seele holen.« Sie deutete auf den Kaminsims, wo eine Schlaguhr
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