Katzensprung
Schärpe über seinem runden Bauch hüpfte mit dem
Akkordeon voraus, die anderen, ein Dutzend Roma aus der Familie von Slatkos Mutter
in dunklen Anzügen mit kragenlosen Hemden, die Hüte quer auf den Köpfen,
tanzten und torkelten hinterher und entlockten ihren Klarinetten, Trompeten,
Geigen, Trommeln und Hackbrettern kreischende, jaulende, gellende Töne und
einen jagenden Rhythmus, der sofort in die Beine fuhr.
Am Morgen hatte Olga zuerst Lenkas roten Schopf, den Tülay noch in
Wuppertal entsprechend präpariert hatte, zu einer üppigen Lockenfrisur
auftoupiert, die sie mit viel Haarspray fixierte.
Dann hatte sie das weiße lange Haar von Zora zu einem Zopf
geflochten, ihn oben auf ihrem Kopf zu einem Krönchen zusammengerollt und ihr
geholfen, das festliche dunkle Kleid anzuziehen. Sie hatte vorsichtig Puder
über Zoras gegerbtes Gesicht gestäubt, ihr einen Hauch Rouge auf die Wangen und
etwas Parfum in die Halsbeuge getupft. Über ihre Schultern hatte sie ein weißes
Tuch mit aufgestickten Rosen und langen Fransen gelegt.
So herausgeputzt nahm das Geburtstagskind, umringt von seiner
ebenfalls aufs Feinste ausstaffierten Familie – vier Söhnen und drei Töchtern,
den dazugehörigen Ehehälften sowie siebzehn Enkeln plus etlichen Urenkeln – das
Geburtstagsständchen entgegen wie eine Königin. Slatko befeuerte es mit
rasenden Geigenläufen.
Im Festzelt bogen sich die Tische unter dem Mahl: große Töpfe
Hühnersuppe, Fleischeintopf, Salate, Platten mit eingelegten Paprika, panierten
Schnitzeln, Cevapcici, gebackenem Gemüse, Fleischrollen, Krautwickeln, Börek in
allen Varianten. Im Vorraum drehte sich seit dem frühen Morgen ein
fetttriefendes Ferkel am Spieß und nahm langsam goldbraune Farbe an. Bierkisten
und Batterien von Sliwowitz- und Kirschlikörflaschen standen an der Wand
aufgereiht.
Nachbarn und Verwandte strömten herbei, das ganze Dorf war auf den
Beinen, und das große Essen, Trinken, Lärmen und Streiten hub an, wie Olga es
von unzähligen serbischen Festen kannte. Die Flaschen leerten und die Köpfe
röteten sich, die Stimmen wurden lauter, das Lachen kreischender. Lenka und
ihre Schwestern räumten unentwegt leer gegessene Platten ab und trugen neue
auf, die Nachbarfrauen spülten im Dauereinsatz.
Olga war nicht richtig bei der Sache, sie schielte auf ihr Handy,
weil sie auf eine SMS von Max wartete. Wegen
Kinderdienst hatte er sie nicht zum Flughafen bringen können, aber versprochen,
sie am Dienstagabend in Düsseldorf abzuholen. Lenka und Slatko wollten noch
eine Woche länger bleiben.
Sie fühlte sich elend, was ihn betraf, unruhig, unsicher. Sie wusste
nicht, ob sie ihn in ihre Zukunft einplanen konnte, sie musste Entscheidungen
treffen. Die Sorglosigkeit war vorbei, ihre Lebensuhr rannte unaufhaltsam auf
die vierzig zu.
Außerdem kreiste der Junge in ihrem Kopf.
Das SMS -Glöckchen klingelte, aber es
war nur Tülay, die offenbar eine Nacht mit Cem verbracht hatte und ein »Wow«
mit drei Ausrufungszeichen simste.
Olga sackte es in die Magengrube, sie stellte das Handy aus und
holte sich etwas zu essen, dann hielt sie ihr Glas Onkel Ivko hin, der es bis
zum Rand füllte.
Auf der Tanzfläche stellte sich eine lange Reihe auf, Zora mit
strahlenden Honigaugen in der Mitte. Sie tanzten den serbischen Nationaltanz
Kolo mit ineinander verschränkten Armen und kreisenden Hüften. Der Raum war ein
Toben und ein Fingerschnippen, ein Lärmen, Stampfen und Rasen. An den Tischen
kam es immer wieder zu Tumulten und Streitigkeiten unter einzelnen
Familienmitgliedern, andere schlichteten und beschwichtigten, die Flaschen
wurden herumgereicht, man lag sich in den Armen, um gleich darauf wieder
gegeneinander zu wüten.
Olgas Cousine Julka holte die Zigeunerröcke und mit Bändern
geschmückte Schellentrommeln aus Zoras Schrank. Die Cousinen zogen sich um und
tanzten Zigeunertänze, die sie als Jugendliche in den großen Ferien, wenn Olga
zu Besuch gewesen war, geübt hatten. Slatko kniete mit seiner Geige neben den
sich bauschenden und drehenden Röcken, die Schellentrommeln wurden auf wiegende
Hüften geschlagen, Luciano sang mit Schmelz die alten Lieder, man klatschte,
sang mit, brüllte, weinte.
Die Männer reihten sich wieder ein. Cousin Gitano, der immer schon
ein Auge auf Olga geworfen hatte, griff beherzt nach ihren Hüften und
versuchte, sie zu küssen, aber da stand Lenka hinter ihm, fuchtelte mit einer
Fleischgabel in der erhobenen Faust und riss ihn weg. Olga lachte, tanzte,
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