Katzensprung
Tatverdacht
mehr bestehe, die Staatsanwaltschaft werde dies noch offiziell bestätigen.
Emilio war noch gebeugter und grauer als bei ihrem letzten Treffen,
seine Depression schien sich verstärkt zu haben. Eros Ramazzotti im freien
Fall.
Olga entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten, die die Kripo
ihm habe machen müssen, und streckte ihm zum Abschied die Hand entgegen. Er
ergriff sie dankbar und fragte mit heiserer Stimme nach dem Jungen. Tränen
schossen ihm in die Augen, als Olga bestätigte, dass er in Untersuchungshaft
sitze, Luna aber fest zu ihm stehe und der Kripo gegenüber die Aussage
verweigere.
»Ihre Tochter gefällt mir«, sagte Olga. »Sie hat Charakter, auch
wenn sie uns das Leben nicht gerade leicht macht.«
Er lächelte traurig und hob die Hand. »Sie ist jetzt sechzehn, sie
wird eine junge Frau«, sagte er heiser. »Dieses wunderbare Kind hätte einen
besseren Vater verdient als mich.«
Auf dem Weg zum Auto traf Olga Karim und Melek, die beiden Jungen
aus der Hauptschule Wichlinghausen, die sie am Anfang der Ermittlungen
vernommen hatte.
»Ey, die Frau Popovich!« Karim kam erfreut auf sie zu. »Wir haben
gehört, Sie haben den Täter«, sagte er. »In der Schule erzählen sie, dass es
ein Russe war. Welches Schwein macht denn so was?«
Olga sah ihn streng an. »Wenn ich mich recht erinnere, habt ihr mir
mal was über Respekt erzählt. Das gilt für das Opfer, aber auch für den Täter.«
»Aber wenn jemand ein Mörder ist?«
»Mörder ist jemand erst, wenn das Gericht sein Urteil gesprochen
hat, merkt euch das. Bei einem Tötungsdelikt steckt nicht immer eine böse
Absicht dahinter.«
Abends kam Max zum Essen, und Olga malte ihm und Tülay aus, wie
der Besuch in Serbien ablaufen würde. Lenka würde sich, sobald sie serbischen
Boden betraten, in Streitereien mit ihren Geschwistern verwickeln,
wahrscheinlich bereits auf der Fahrt vom Flughafen zu ihrem Heimatort Zopot,
eine Stunde von Belgrad entfernt. Ihr ältester Bruder Ivko, ein Serbe mit
breitem Kopf und kantigem Gesicht, würde sie abholen, und nach kurzer
Wiedersehensfreude würde es losgehen, das Thema sei egal. Beliebt sei zum
Beispiel die Frage, ob die Großmutter noch einmal nach Wuppertal kommen sollte,
wie es Lenkas innigster Wunsch war. Ivko war als alter Tito-Anhänger
prinzipiell dagegen, überhaupt war er gegen Deutschland, das er als Hochburg
des Raubkapitalismus und Satellit Amerikas bezeichnete und das seine Bewohner
mit Konsum und Gaukelspielereien in die Schuldenfalle locke.
»Darüber kann er stundenlange Monologe halten, für den sind wir alle
Marionetten des Großkapitals«, sagte Olga. »Der weiß besser als wir, wie es in
Deutschland ist, obwohl er noch nie hier war. Dafür ist meine Tante Jivka ganz
scharf darauf, mit der Oma nach Wuppertal zu kommen. Das will aber meine Mutter
nicht, sie sagt, Jivka sei nur auf unsere Sonderangebote aus, sie wolle nur in
der Stadt rumrennen und shoppen, und dann noch nicht mal den Kaffee bezahlen.
Da wird gegiftet, dass es kracht.«
Max konnte es sich vorstellen und Tülay erst recht, die Ähnliches
von ihren türkischen Verwandten berichtete. Beide beschrieben erbitterte
Schlachten, wenn bei Familienfesten die Tanten einander im Krautwickelrollen
beziehungsweise Börekbacken, im Schweine- und Lammgrillen überboten und endlose
Streits um das Essen tobten.
Im Einschlafen überfiel Olga eine Panikattacke. Sie sah den Jungen
springen, Lunas aufgerissene Augen spießten sie auf, ihr arroganter Blick, ihr
Zischeln: No limit.
»Stehen bleiben, Polizei!«
Sie brüllte und fuhr hoch, Max brummte. »Geht er dir schon wieder
stiften? Das ist eine fixe Idee, Olga, sicherer als in Ronsdorf kann der gar
nicht sitzen.«
***
Clari, Clari, ich bin so aufgeregt.
Grigorij hat angerufen, er bringt den
Lastwagen nach Süddeutschland und mietet einen Pkw. Am Wochenende ist er wieder
hier und bereitet alles vor. Er spricht ein bisschen Deutsch.
Der Anwalt geht am Montag in den Knast,
ich gebe ihm das Zeichen mit.
Clari, der Plan ist perfekt, alles wird
klappen.
Hdl, hdgggdl
Luna
***
In Belgrad war alles wie vorausgesehen. Die Festvorbereitungen
waren von Streit und Konflikten begleitet, die sich erst nach einem Machtwort
der Großmutter Zora zischelnd und schimpfend beruhigten, aber unter der Decke
weiterschwelten. Am Sonntagmorgen tobte die Zigeunerkapelle die Hauptstraße von
Zopot herauf, schon von Weitem trompetete, fiedelte, wummerte es. Slatkos
Cousin Luciano mit roter
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