Katzensprung
Spießerscheiße und so, du weißt, wie sie redet. Ich glaube,
dass sie einen Freund hat.«
»Einen Freund? Luna doch nicht, das bildest du dir ein, es ist nur
die Pubertät. Neulich hat einer in der Kneipe gesagt –«
»Es geht ausnahmsweise mal nicht um deine Kneipengeschichten«, fuhr
Trudi dazwischen, »es geht um deine Tochter. Sie hat sich die Haare abrasiert,
komplett, ein Glatzkopf, ein Zombie. Als gehörte sie zu den Nazi-Schwachköpfen.
Du würdest sie nicht wiedererkennen, so sieht es aus. Und die letzte
Mathearbeit war fünf. Ich weiß nicht, wo sie den ganzen Nachmittag rumhängt, ob
sie Drogen nimmt oder sonst was.«
Emilios Dackelfalten vertieften sich, er war grau.
»Soll ich mal mit ihr reden? Vielleicht sagt sie Papa, was los ist?«
»Bestimmt sagt sie Papa, was los ist, Papa, dem sie ja sonst auch
alles sagt.« Trudi keifte. »Papa, der nichts von seiner Tochter weiß, der sie
manchmal eine Woche lang nicht sieht, ausgerechnet Papa, die Verlässlichkeit in
Person.«
Emilio zog den Topf vom Herd und goss die Spaghetti ab.
»Papa, der fremdgeht mit irgendwelchen Schlampen, dem soll sie ihr
Herz ausschütten? Besoffenen Schlampen wohlgemerkt, dreisten Schlampen.«
Bevor sie sich weiter hochschrauben konnte, hielt er ihre Arme fest
und legte allen Latino-Schmelz, den er aufbieten konnte, in seine braunen
Augen.
»Lass uns nicht streiten, sei nicht sauer, du hast recht. Mit allem.
Ich werde in Zukunft mehr zu Hause sein und dich mehr unterstützen. Ich rede
mit Luna, ich will ihr ein besserer Vater sein, ich lasse alle Eskapaden
bleiben, ich entschuldige mich für alles, amore mio .«
Er begann ihren Hals zu küssen, sie schob ihn weg, schluckend,
feindselig. Sie glaubte ihm nicht mehr, es war eine neue Masche, mit der er
wieder wer weiß was vertuschen wollte.
***
Hi Clara, Clarimaus, liebstes Clärchen,
bin gerade nach Hause gekommen, meine
Eltern voll am Streiten. Die sind so ätzend, das glaubst du nicht. Ey, ich
hab’s getan, alles weg, ratzekahl, wie findest du’s? Meine Mum hat es
umgehauen, Papa hat’s noch gar nicht gesehen. Da müssen sie durch. Alles pur
und ohne Pampe, fühlt sich geil an, ganz rein und sauber, wie ’n Mönch. Du
wirst sauer sein, wenn ich dir sage, dass ich dich fast nicht vermisse, seitdem
ich ihn kenne (nur manchmal, aber dann ganz doll!!). Schade, dass ich dir kein
Foto schicken kann, er will das nicht. Bilder, was sind Bilder, sagt er, Bilder
lenken ab vom Eigentlichen. Will auch die ganze Handy- und iPod-Scheiße nicht.
Hat noch nicht mal ’nen Laptop, er ist echt krass. Konsumscheiße, sagt er,
Monitore, kein richtiges Leben. Alles muss pur sein, das ganze Zeug streut
einem nur Sand in die Augen. Dabei ist er so süß, viel geiler als die Bubis in
unserer Schule, die sich dauernd knipsen. Er ist so hübsch, Clari, seine Haare
sind blond und weich, Engelshaare, die Augen schräg, grün mit braunen Punkten.
Eidechsenaugen. Und Bewegungen, davon träumst du.
Er ist Traceur, er läuft und überwindet
jedes Hindernis, er ist super. Er zeigt mir alles. Konzentration und
Achtsamkeit, bewusst sein, im Augenblick sein, wach und entschlossen sein. Du nimmst
dir deinen Weg. No limit. Es ist so cool. Du machst es zuerst im Kopf, du
richtest dich drauf aus, immer wieder gehst du es in Gedanken durch. Er sagt,
das ist das Wichtigste, jede Sekunde konzentriert sein, der Gedankenmüll muss
weg. Er zeigt mir auch Zen-Meditationen, man denkt nur an den Atem, der durch
die Nase fließt. Es hilft, klar zu werden, sich auszurichten und zu dem geilen
Punkt zu kommen, wo man es einfach tut, man läuft und springt von allein, dann
ist man im Flow. Ich mache es immer wieder, zwanzig-, dreißigmal
hintereinander, das bringt es, Clärchen, das ist voll gut, davon kommst du
drauf ohne Droge, und du bleibst oben, sogar wenn du es dir nur vorstellst. Es
macht dich nicht krank, sondern gesund. Weil es in deinem Kopf ist, kann es dir
keiner verbieten, du kannst es überall mit hinnehmen, du bist frei.
Wenn wir gelaufen sind, essen wir
Nougattrüffel, er bringt immer eine ganze Tüte mit.
Ich bin voll glücklich mit ihm,
Clärchen.
Love u baby hdggdl
Luna
***
Bei der Lagebesprechung am frühen Nachmittag war immer noch
keine Vermisstenmeldung eingegangen. Die Kollegen hatten mit der bundesweiten
Abfrage begonnen, ob irgendwo eine Frau um die vierzig mit den entsprechenden
Merkmalen vermisst wurde.
Olga warf einen Blick auf die wenigen klatschnassen Fundstücke
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