Katzensprung
einem Jahr in das Elfte Kommissariat der Wuppertaler Polizei
gekommen war.
Sie waren ein Jahrgang, er hatte auf eine schnelle Beförderung zum
Kriminalhauptkommissar spekuliert, aber Olga war ihm zuvorgekommen. Und das
trotz ihrer, wie Lepple fand, manchmal unorthodoxen Ermittlungsmethoden, nicht
immer einwandfreien Aktenführung und eines schnoddrigen Tones, den er sich im
Dienst niemals erlaubt hätte. Lepple machte keinen Hehl aus seiner Meinung,
dass ihre Vorgesetzten, der Leiter der Kriminalinspektion I Dr. Joachim
Fischbein und der Leiter der Mordkommission Stefan Bauer, Popovich ganz
eindeutig begünstigten und dass sie politisch zu denen gehörten, bei denen eine
Frau mit Migrationshintergrund per se Pluspunkte hatte.
Stefan Bauer war zwölf Jahre älter als Olga, sie waren Nachbarn
gewesen, die Eltern seit Langem befreundet. Nach seinem Vorbild war sie zur
Kripo gegangen, er förderte sie und schätzte ihren Spürsinn, ihre Intuition und
ihre manchmal unkonventionelle Herangehensweise, vor allem bei Fällen, die
psychologisches Feingefühl erforderten.
»Kaffee«, sagte Olga, »können Sie einen auftreiben?«
Sie wusste im gleichen Augenblick, dass es ein Fehler war. Lepple
schnappte ein und lief steifbeinig zum Mannschaftswagen.
Olga assistierte dem Notarzt, der den Körper untersuchte und nur
noch den Tod feststellen konnte.
Die erste Inspektion der Leiche ergab, dass es eine Frau zwischen
Mitte dreißig und Mitte vierzig sein musste, füllig, aber nicht dick, offenbar
gut gekleidet. An einem Fuß hing eine rote Sandalette, ihr enger Rock war
hochgerutscht und legte bleiche, verkratzte Schenkel frei, über die sich Fetzen
einer Strumpfhose spannten. Von ihrer schwarzen Bluse waren ein paar Knöpfe
abgeplatzt, sodass ihr roter Spitzenbüstenhalter zu sehen war. Die
Jackentaschen waren leer, es gab nichts, was auf ihre Identität schließen ließ.
Ein nasser Strang langen schwarzen Haares lag über dem Gesicht der
Frau, und Olga schob ihn vorsichtig zur Seite. Rote und schwarze Schminke
bedeckte in Schlieren die grauweiße Haut, von Lidern halb bedeckte Augen
schillerten grünlich im ersten fahlen Sonnenlicht, das zwischen Wolkenbergen
aufschien und wieder verschwand.
»Todeszeitpunkt vermutlich gestern Abend, möglicherweise zwischen
acht und elf«, sagte der Arzt und zeigte auf den seitlichen Oberkopf der
Leiche. »Das sieht nach einer Platzwunde aus.«
Josef Lepple kam mit dem Kaffee und reichte ihn Olga.
»Was zu sehen?«
»Das da. Könnte todesursächlich sein.« Olga zeigte auf die Wunde,
die durch das Haar nur schwer zu erkennen war.
»Vermisstenmeldung?«
»Bisher nichts eingegangen«, rapportierte Lepple.
Während der Arzt die Todesbescheinigung ausstellte und die Kollegen
der Spurensicherung der Leiche Fingerabdrücke und DNA -Proben
abnahmen, orderte Olga einen Trupp Bereitschaftspolizei, der das Wupperufer
absuchen sollte, und einen Hundeführer mit Suchhund, damit er die Spur der Toten
aufnahm und ihnen hoffentlich den Ort zeigte, an dem die Leiche ins Wasser
gelangt war. Sie fluchte, als es zu regnen begann, zuerst zögerlich und dünn,
dann prasselte es immer stärker und wuchs sich zu einem Landregen aus.
Der Leiter der Mordkommission und Erste Kriminalhauptkommissar
Stefan Bauer traf ein und ließ sich von Olga informieren, dann fuhr er ins
Präsidium, um die Vermisstenabfragen einzuleiten und den Abgleich der
Fingerabdrücke und der DNA zu veranlassen.
Eine wachsende Schar Neugieriger versammelte sich auf der
Fußgängerbrücke, unter ihnen das geschockte Nachtschwärmerpaar, das die Leiche
auf dem Nachhauseweg entdeckt hatte. Die Leute harrten aus, trotz des Regens
und obwohl die Feuerwehr eine Plane vor dem Fundort aufgespannt hatte. Olga und
Lepple gingen zu der Gruppe hinüber und fragten, ob jemand Beobachtungen
gemacht habe, dabei nahmen sie die Leute diskret ins Visier. Niemand verhielt
sich auffällig.
Der Suchhund hechelte so zielstrebig durch das sperrige Gebüsch
am Wupperufer in Richtung Elberfeld, dass der Hundeführer kaum folgen konnte.
Nach einer guten Stunde meldete er, der Hund habe die Spur glücklicherweise
nicht verloren und auf einem Hinterhof des Elba-Geländes angeschlagen, der
direkt an die Wupper grenzte. Olga und Lepple fuhren sofort hin, gefolgt vom
Tross der Spurensicherung.
Es war ein kleiner, von einer mannshohen Mauer und einer flachen
Industriehalle eingegrenzter Hof, der sich hinter einer der verlassenen Hallen
befand, ein idyllisches
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