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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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…”
    “Wird sowieso schon den schlimmsten Anfall bekommen, den die Gesetzeshallen je erlebt haben. Wie viel schlimmer kann es schon werden?” Während sie sprach, sah sie ihn nicht an, ihre Augen waren wie gebannt vom Anblick der Tischplatte. Sie sah glänzend aus, spiegelte aber nichts wider.
    “Kaylin …”
    “Ich habe dir die Wahl überlassen”, sagte sie leise, “jetzt bin ich am Zug.”
    Er ließ langsam los, aber er tat es.
    Und sie legte beide Hände auf die Tischplatte. Sie glitten hindurch.
    Wie eine Legion winziger Insekten begannen Worte ihre Arme hinaufzukriechen. Kaylin konnte spüren, wie sie marschierten, als wäre sie selbst das Pergament und die Worte Tausende spitze Federn. Mit knirschenden Zähnen versprach sie sich, dass sie nie wieder eine Schabe hassen würde. Die konnte man wenigstens zertreten.
    “Kaylin … was ist das?”
    “Macht”, sagte sie düster.
    “Magie?”
    “Nein. Macht.” Sie schüttelte sich. Ihre Hände konnten sich unter der Oberfläche frei bewegen, aber sie konnte sie nicht hinausziehen. Sie versuchte es nur ein einziges Mal. “Die Prüfung wurde von Barrani erstellt”, fügte sie verbittert hinzu. “Irgendwann musste es um Macht gehen.”
    Sie spüre ihre Arme kribbeln. Das Kribbeln wurde immer stärker, bis es wehtat. Mit Schmerz konnte sie umgehen. Auch Feuer konnte sie knapp bändigen, und das kam als Nächstes. Aber falls die Barrani mit ihr spielen wollten, würden sie kein leichtes Spiel mit ihr haben.
    Diese Suppe würde sie ihnen ordentlich versalzen.
    “Diese Prüfung wurde dir nicht von den Barrani auferlegt”, stellte Severn fest. Seine Stimme an ihrem Ohr war wesentlich angenehmer als das Brummen, das immer lauter wurde.
    Sie biss sich auf die Lippe, schmeckte Blut. Dachte erst hinterher nach. Blut war schlecht.
    Sehr schlecht.
    Blut war die Flüssigkeit der Lebenden. Blut war das Wasser des Lebens. Blut war die Tinte, in der alte Worte – uralte Worte – geschrieben wurden.
    Das wusste sie, sobald das Blut ihre Zunge berührte. Es war nur ein winziges Rinnsal, sie hatte sich schon fester auf die Lippe gebissen, nachdem sie die Treppe hinuntergesprungen war. Zugegeben, damals waren ihr drei bewaffnete Schläger auf den Fersen gewesen. Hier hatte sie ein ruhiges Zimmer und einen Tisch, der ihre Hände nicht losließ. Sie hatte keinen Grund gehabt, zu beißen. Außer Eitelkeit, weil sie nicht gerne laut schrie.
    Teela hätte sie geschlagen.
    Severn war stumm. Selbst wenn er verstand, was geschehen war, er regte sich nicht. Wie einen Schatten spürte sie ihn an ihrer Seite.
    Die Oberfläche des Tisches glänzte nicht länger, sie leuchtete. Das Licht war blass, diffus und mit einer blassblauen Aura umgeben.
    Die Worte waren ihre Arme hinaufgekrochen und hatten sich auf ihrer Haut niedergelassen. Sie passten Schnörkel für Schnörkel, Strich für Strich zu den Worten, die bereits dort standen. Die Zeichen suchten auf ihrer Haut irgendeine Antwort, eine Vertrautheit, irgendetwas; langsam kam Kaylin die Antwort in den Sinn, wie das Ergebnis einer komplizierten Rechenaufgabe.
    Sie wollten ein Gefäß.
    Ein lebendiges Gefäß.
    Blut, Knochen und Fleisch.
    Sie erinnerte sich an die Nachtschattenburg. Dachte zurück an die Langen Hallen, an die stummen Barrani, die sich erst bewegt hatten, als der Duft des Blutes sie umwehte. Obwohl sie wie tot aussahen, schien es, als könnte die Erinnerung an die Sehnsucht nach Leben sie wiedererwecken.
    Das hier war ganz anders. Die Barrani steckten in ihrem eigenen Fleisch. Sie waren blass und schlaff geworden, als die Zeit verging und sie nichts taten außer Wache zu stehen vor Türen, die sich nur nach Lust und Laune des Koloniallords öffneten.
    Die Worte? Waren frei, entfesselt. Fast rasend.
    Und Kaylin spürte, wie sie auf sie einprasselten und nach Nahrung suchten. Oder Einlass. Aber sie sprachen nicht zu ihr, und das frustrierte Kaylin, auch wenn sie nicht wusste, warum. Worte wurden
gesprochen
, hatten keine eigene Stimme.
    Und doch …
    Das waren mehr als Worte.
    Genau wie einige Namen mehr als Worte waren. Menschliche Namen konnte sie aussprechen. Diese konnte sie hören oder einfach ignorieren. Doch die Namen der Barrani? Waren
mehr
. Genau wie die Namen der Drachen.
    Ihre Namen waren ewig.
    Alte Namen, dachte sie. Alte Worte.
    Was für Geschichten hatte Kaylin gehört? Welche Legenden hatte sie aus der Zeit in Nightshade mitgenommen? Halbe Erinnerungen – so wie es ihr letztendlich mit fast allen

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