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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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sind nicht frei”, flüsterte sie.
    “Wir sind so frei, wie wir je sein werden. Wir treffen die Entscheidungen, die wir eben treffen … und leben mit den Konsequenzen. Es gibt keinen anderen Weg. Nimm die Erinnerung fort, und die Taten lehren uns rein gar nichts. Am Ende habe ich gelernt, dass ich mit dem leben
kann
, was ich getan habe. Ich weiß nicht, ob du es kannst. Aber auch das ist eine Folge. Und ich wusste es damals. Die Alternative war schlimmer.”
    Sie betrachtete die Blumen und spürte, wie ihre Kehle sich zusammenschnürte. Der Duft wurde stärker. “Was, wenn wir keine Wahl haben?”
    “Wir haben immer die Wahl. Ist das nicht letztendlich der Zweck von allem, was ist und geschieht auf der Welt? Lautete so nicht die Rune, die du berührt hast?”
    Sie nickte. Streckte die Hand aus und umfasste das Medaillon von Lord Sanabalis, dem Drachenlord. “Ist es wirklich so schlimm, die Blüten zu verbrennen?”
    “Wäre es.”
    “Wie schlimm genau?”
    Er runzelte die Stirn. “Das ist keine rhetorische Frage, oder?”
    “Nicht wirklich. Und, ja, ich weiß, was das Wort heißt. Wenn du es erklärst, ersteche ich dich.”
    “Mit was?”
    Sie verzog das Gesicht. “Dann trete ich dich eben.”
    “Besser.” Sein Lächeln war nicht mehr so verkrampft. “Ich gehe das Risiko ein”, sprach er weiter. “Der Duft ist … schlecht.”
    Sie hielt das Medaillon wie einen Talisman in der Hand und hob ihn hoch über sich.
    “Ist das nötig?”
    “Wahrscheinlich nicht.” Sie betrachtete dessen Oberfläche, und die vertraute Schwere wirkte auf sie tröstlich. “Ich habe etwas gelernt”, sagte sie.
    “Bringt es uns um?”
    “Vielleicht.”
    Er zuckte mit den Schultern.
    Und sie sprach das Wort “Feuer”.
    Wie der Atem des Drachens kam Feuer über sie. Was es berührte, verbrannte es. Die Flammen breiteten sich aus, gezügelt von Steinen, in einem Kreis aus Hitze und orange glühendem Licht. In dem Leuchten des Feuers, im Tanz der Flammenzungen, in der Sprache seines Knisterns verlor Kaylin die Monde aus den Augen. Severn verlor sie nicht, er hielt immer noch ihre Hand, während er zusah. Beide hielten sie gebannt den Atem an.
    Rauch, weißer Rauch, stieg wie ein Vorhang aus dichtem Nebel über den Flammen empor. Aber der Wind, der zuvor den Duft verbreitet hatte, bewegte die wachsenden Schwaden nicht. Sie wuchsen höher und höher, eine Illusion, die an Wände erinnerte.
    Und als der Nebel sich aufbauschte, sah Kaylin die Worte darin. Flüchtige Worte, durchbrochen von Flammen, die sich immer wieder aufs Neue formten, den Schrei der Blumen, der alle Raffinesse eingebüßt hatte.
    Daran würde sie sich erinnern.
    Das war Sinn und Zweck der Prüfung.
    “Kaylin?”
    Sie hob eine Hand, starrte in den Rauch. Severn verstummte. Dann zog sie sich zurück, ging rückwärts, zog ihn an der Hand hinter sich her.
    “Es ist der Baum”, sagte sie leise.
    “Was ist damit?”
    “Wir müssen noch mehr klettern.”
    “Die Lethe?”
    “Ist weg. Selbst wenn wir wollten, könnten wir uns jetzt nicht mehr anders entscheiden.”
    “Würdest du?”
    Sie schüttelte den Kopf. Das Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es zurück und lächelte. Ein gequältes Lächeln. Ein echtes. “Vorwärts”, murmelte sie.
    Der Baum wartete auf sie.
    Aber Kaylin hatte sich geirrt.
    Sie sah den Stamm. Und darin geschnitzt eine einfache Rune. Die sie saftig verfluchte, in allen Sprachen, die ihr zur Verfügung standen. Sie fragte sich sogar kurz, ob sie in der Sprache der Alten fluchen könnte. Wie würde das klingen?
    Severn wartete, bis sie fertig war. “Was ist?”
    “Das ist so ein blöder Türzauber”, fuhr sie ihn an. “Schade, dass die Leute, die das hier gebaut haben, schon lange tot sind.”
    Er lachte. Sie trat nach seinem Knöchel.
    Und dann, ehe sie vollkommen die Nerven verlor, hob sie die Hand, die nicht in Severns lag, und presste sie mit der Handfläche flach gegen die Rune.
    Licht flammte auf, heller als Feuer, und erleuchtete den dunklen Nachthimmel. Kaylins Reaktion war typisch.
    “Fluchst du auch irgendwann mal nicht?”
    “Schon. Aber das ist normalerweise kein gutes Zeichen.”
    Wieder lachte er.
    Der Baumstamm begann sich aufzulösen. Unter Kaylins Hand veränderte sich langsam die Struktur der Borke, so als wehrte sie sich mit aller Kraft gegen die neue Gestalt, als wollte sie einen Abdruck hinterlassen. Ihre Finger legten sich einen Augenblick um die Rinde, hielten sie fest. Sie spürte dort Frieden, war

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