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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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gesehen
, sagte sie ihm und bot ihm damit die gleiche Verletzbarkeit, die sie von ihm erbat, zuerst an.
Ich habe Andellen gefragt, was sie bedeutete. Er konnte sie auch sehen.
    Das kann er, er hat sich der Prüfung unterzogen und bestanden.
    Er hat gesagt, das Symbol steht für Wahl. Das hast du nicht gesehen, oder?
    Nein, Kaylin.
    Dann ist es …
    Ja. Überlasse diese Information niemandem sonst. Bei mir ist sie sicher, denn du trägst meinen Namen.
    Sie nickte, doch es war ein abwesendes Nicken, eine Gewohnheitsgeste.
    Andellen hat gesehen …
    Er war dein Führer.
    An jedem anderen Ort hätte sie gespuckt. Ihre Hände glühten, sie hatten das blasse Grün von Barrani-Augen – Kinderaugen. Sie hatte noch nie ein barranisches Baby gesehen, sie waren selten. Aber sie
wusste
es einfach. Ihre beiden Hände. Sie öffnete beide. Sah die Halbmonde von Nägeln – jeweils drei –, die sich in die Haut gefressen hatten. Sie hatte sich im Leben schon schlimmer an Papier geschnitten, aber nicht dort. Es kam immer – wie ihr sehr verwirrter Geschichtslehrer oft gesagt hatte – auf den Kontext an.
    Sie schloss langsam ihre Augen. Sie konnte ihre Hände immer noch spüren, aber die mit Runen geschriebenen Worte nicht länger erkennen. Sehen würde ihr nicht helfen, sie versuchte immer wieder, die Formen zu etwas zu machen, das sie nicht waren: Sprache. Und verständlich.
    Sie spürte, wie das Kribbeln in ihren Armen nachließ, fühlte, wie das hastige Krabbeln der verzweifelten Formen sich verlangsamte. Ihre Haut gehörte ihr. Sie war trocken und heiß, als hätte sie alle Flüssigkeit in sich aufgenommen. Oder als hätte sie Fieber. Auf jeden Fall war ihr schwindelig.
    Diese Worte ließ sie los. Sie waren nicht für sie bestimmt. Oder von ihr. Was sie in Händen hielt, was über ihre offenen Handflächen kroch wie der langsame Lauf eines Baches, könnte es sein. Sie musste wählen.
    Nicht ein Mal, sondern zwei Mal. Das verstand sie, weil das Symbol selber nur auf beide Hände reagiert hatte. Eine Hand hatte nichts auszurichten vermocht.
    Was, wenn ich nicht wähle?
    Dann wird eine Wahl für dich getroffen werden. Keine Wahl zu treffen ist auch eine Wahl.
    Dann brachte also alles nichts. Immer noch mit geschlossenen Augen ertastete sie die Formen. Und die Formen wurden immer schwerer und bekamen unterschiedliche Oberflächen, während die düsteren Minuten verstrichen. Ihre rechte Hand schloss sich um etwas Rundes und Hartes. Es war weder zu heiß noch zu kalt, aber es war schwer. Fast zu schwer, um es festzuhalten.
    Und doch fühlte es sich, während sie mit seinem immensen Gewicht rang, wie etwas an, das solide genug war, um einen Palast darauf zu errichten, eine Grundmauer, etwas Starkes. Es war
riesig
. Sie hatte noch nie versucht, etwas so Großes zu tragen, schon gar nicht in ihrer Handfläche.
    Ihre Hand war fast ganz flach, und ihre Finger zitterten unter der Anstrengung, es festzuhalten. Sie zog. Und spürte, wie ihre linke Hand die Oberfläche durchbrach.
    Aber ihre Augen waren noch geschlossen. Eine Hand. Ein Wort.
    Sie konzentrierte sich auf ihre andere Hand. Und spürte Leere. Etwas zwickte in ihre Handfläche, so scharf und sauber, wie Severns Dolche es gewesen waren. Fast öffnete sie ihre Augen. Sie geschlossen zu halten kostete sie mehr Kraft, als einem leontinischen Zeugen nachzujagen, der nicht befragt werden wollte.
    Trotzdem hatte sie es immer und immer wieder getan.
    Scharf. Hart. Das waren beide Dinge. Aber ihre Finger schlossen sich mühelos um die Form, und zu ihrer großen Überraschung spürte sie unter ihren Fingern etwas Weicheres und Nachgiebigeres, etwas Warmes und Leichtes, das wie ein Bett aus Moos oder Blütenblättern war. Als sie ihre Hand schloss, drückte sie die Kanten des ganzen Dings weiter in ihre Handfläche, aber sie tat es trotzdem. Es war … Leben darin. Etwas Lebendiges. Etwas, das vollkommen anders war als die riesige Form, die sie in ihrer linken Hand hielt. Es schien fast zu singen.
    Sie hob ihre Hand, ohne nachzudenken, und öffnete die Augen. Dann schrie sie.

15. KAPITEL
    V on ihrer Hand tropfte Blut.
    Sie hatte schon mehr davon gesehen, sogar von ihrem eigenen. Das Blut selber war nicht das Problem, es war das Ding, das sie in der Hand hielt.
    Severns Griff schloss sich fester. “Kaylin …”
    Sie schüttelte sich. Nicht nur ihren Kopf, sondern ihren ganzen Körper, eine zwanghafte Bewegung, die nichts mit freiwilliger Entscheidung zu tun hatte.
    “Deine Hand

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