Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
Vom Netzwerk:
Dingen im Leben ging – an steinerne Fensterflügel, kleine in Statuen gemeißelte Fenster, durch die sie wie Augen sehen konnte. Groß und elegant, riesig und wild, die Tagträume uralter Götter. Sie waren geschnitzt und geformt von den Lords der Gesetze und den Lords des Chaos. Ihnen hatte man Worte der Macht gegeben, damit sie lebten. Worte, die in Kaylins eigenem Leben nur eine oberflächliche Bedeutung hatten.
    Aber es waren dennoch Worte.
    Sie verstand und schwieg. Im Angesicht solcher Worte, welche Macht hatten da noch ihre eigenen?
    Sie flüsterte einen Namen. Einen menschlichen.
Severn
.
    Und er war bei ihr, sie spürte seine Hände auf ihren Schultern, die beruhigende Stärke seines Schweigens. War das Macht? Nicht so, wie die Worte es besagten.
    Aber sie war keine Statur aus Lehm. Sie war nicht namenlos. Sie war nicht …
    “Nein”, flüsterte sie leise.
    “Kaylin?”
    “Ich habe ihn gefragt”, sagte sie zu Severn.
    “Wen gefragt?”
    Calarnenne.
Sie sprach den Namen nicht aus. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie formten nur einen Ton, nicht mehr. Sie
dachte
ihn auch nicht wirklich, auch wenn der Gedanke ihr bewusst war. Der Name, der zu ihr kam, war ursprünglich, primitiv, aus dem Bauch heraus – etwas Tieferliegendes als Gedanken. Es war der wahre Name des Lords, der die Kolonie regierte, die seinen Namen trug: Nightshade.
    Und sie hörte seine Stimme durch das Gemurmel der anderen Worte, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte.
Kaylin.
    Du hast gesagt …
    Was habe ich dir gesagt?
    Nichts, natürlich. Nichts, was ihr etwas nutzte. Nur ein Geräusch. Brummen.
    Die Kinder
, sagte sie zu ihm und versuchte sich zu konzentrieren.
    Die Stille war fast vollkommen. Er hätte sich zurückgezogen, hätte sie nicht noch einmal nach ihm gerufen, ihn gezwungen, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken. Sie spürte seine Überraschung, sein Zögern, und, ja, auch seine Wut. Aber sie legte keinen Wert auf seine Empfindungen.
    Wie werden Barranikinder benannt?
    Eine Pause. Anschwellender Widerstand. Und dann, darunter, Belustigung und … Mitleid.
Hebamme
, sagte er spöttelnd,
du bist in den Hohen Hallen.
    Ich bin in den blöden Hohen Hallen
, fuhr sie ihn an und krampfte ihre Hände zusammen. Worte glitten dadurch, wurden zerquetscht, aber nicht zerstört.
Und hier sind Namen, die auf Leben warten.
    Du … siehst viel.
    Und höre wenig. Beantworte die Frage.
    Schweigen.
    Bitte.
    Der Lord des Barranihofes hat eine Tochter
, sagte er schließlich,
und sie wird eines Tages Lordgemahlin sein. Zu ihr werden alle Neugeborenen kommen. Sie schlafen, und sie wachen nicht auf, bis die Lordgemahlin sie auf Wegen führt, die nur ihr offenstehen. Sie ist auserwählt.
    Kaylin schluckte. Sie wusste, wo die Lordgemahlin die Kinder hinbringen würde.
Aber … sie ist …
    Ja. Sie wird mit einem ihrer Brüder vermählt werden, dem Lord der grünen Auen oder dem Lord der Westmarsche. Ich habe dir gesagt, Kaylin, dass ihre Rolle ihr vorausbestimmt ist.
    Werden sie nicht lebendig geboren?
    Doch, das werden sie, aber ihr Leben ist flüchtig, zerbrechlich, es weht vorüber. Sie wachen nicht auf, bis sie gänzlich wissen, wer sie sein werden. Ihr Name wird ihnen nicht gegeben, sie werden von ihm genommen.
    Erinnern sie sich daran, genommen zu werden?
    Stille. Schwerwiegende Stille.
    Sie fragte nicht noch einmal. Stattdessen beobachtete sie, wie die Schrift wirbelte und sich veränderte. Das Licht war sehr hell. Der Schmerz war noch stärker.
    Sie wollen mir einen Namen geben
, erklärte sie ihm.
    Und die Stille veränderte sich. Jetzt war Dunkelheit darin. Die einzige Wärme im Raum – abgesehen von dem Brennen an ihren Armen – kam von Severns Händen.
    Du kannst keinen Namen bekommen.
    Warum?
    Du bist sterblich.
    Das verstand sie. Dies teilte sie ihm auch mit – ohne Worte.
Ich habe die Worte schon
, setzte sie an und betrachtete diese dabei. Sie leuchteten so hell, dass sie von ihren Ärmeln nicht verborgen werden konnten.
    Sie sind Dein, aber sie sind nicht
du.
Wenn dies das Geschenk ist, das die Hohen Hallen dir bieten, lehn es ab.
    Aber sie …
    Kaylin, hast du dem Altar dein Blut dargeboten?
    Ä
hmmm. Würde das irgendwas verändern?
    Die Stille war erfüllt von Erstaunen – wie bei einer bösen Überraschung.
    Es war ein Unfall
, setzte sie zu ihrer Verteidigung an.
    Doch er konzentrierte sich, und sie verstummte. Sie konnte spüren, wie seine Anwesenheit sich verstärkte, während sie wartete. Sie konnte ihn nicht sehen.

Weitere Kostenlose Bücher