Kaylin und das Geheimnis des Turms
Geschichten erinnerst – die nicht im Klassenzimmer gelehrt werden und deshalb die Gelegenheit haben, bekannt zu sein –, kennst du vielleicht das Bild eines Drachen auf einem Haufen Gold?”
Kaylin zog die Stirn kraus.
“Sie ist in Nightshade aufgewachsen, wisst Ihr?”, sagte Teela hochmütig zu dem Drachen.
“Ah, richtig. Eine menschliche Siedlung gleicht den anderen so sehr, dass ich mich oft vergesse.”
Bockmist.
Allerdings war Kaylin klug genug, das nicht laut auszusprechen. Nicht dass sie es musste.
“Die Drachen haben allerdings schon ein Wort, das unter den gegebenen Umständen ausreichen wird. Auf Elantranisch ist es einfach genug, und ich bin mir sicher, du bist damit vertraut.”
“Welches ist es?”
“
Mein.”
Kaylin lachte. Und dann hörte sie auf, als ihr klar wurde, dass sie als Einzige im Raum etwas lustig gefunden hatte.
Lord Grammayre schwankte einen Moment zwischen Ärger und Belustigung. “Drachen haben keine Beute, wie diese Art von menschlichen Geschichten es beschreiben”, sagte er schließlich, als er sich für Ärger entschieden hatte, “und die frühen Drachenkriege … nein, Kaylin, ich setze nicht voraus, dass du dich an irgendetwas davon erinnerst. Sie gehören heutzutage fast zur Vorgeschichte, und sie wurden zum größten Teil geführt, um das Wort ‘mein’ auf eine Art zu definieren, die den Drachen ein Zusammenleben erlaubte.”
Sanabalis nickte.
“Selbst heutzutage treffen sie nicht in großer Zahl zusammen, und es gibt nur wenige von ihnen. Aber was sie sammeln oder beanspruchen, beschützen sie. Die Regeln, denen dieses Verhältnis unterliegt, sind kompliziert. Ich habe nicht vor, sie zu erklären.”
“Ich bezweifle, Lord Grammayre, dass Ihr es könntet”, erwiderte Lord Sanabalis ruhig. “Der Drachenkaiser ist sehr eigen, was die Beutegesetze betrifft”, erklärte er, “und Diebstahl ist unter Drachen genau aus diesem Grund gänzlich unbekannt. Wir fordern keine Freundschaften ein, wie es die Barrani tun. Wir fordern keine Leben. Wir fordern keine Verwandtschaft. Verstehst du?”
Sie starrte ihn an. Und dann hinab auf das Medaillon.
Er sagte nichts.
“Das gehört Euch”, sagte sie langsam. “Und ich trage es.”
“Ja.”
“Aber dem Gesetz nach bedeutet es nicht …”
“Nein.”
Teela schnaubte. “Es ist seins. Er hat es dir überlassen. Am Hof des Kastenlords – egal ob Drache oder Barrani – hat es das Gewicht eines Schwurs. Am Hof des elantranischen Gesetzes ist es einfach in Gold gebundene Magie. Aber weder der Hof der Drachen noch der Hof der Barrani wird sich der modernen Gesetze bedienen, solange es dort noch einen Kastenlord
gibt
. Was ihm auf Geheiß des Kaisers hin verboten ist, wird er nicht tun. Was er tun kann, hat er getan. Und, Kaylin, das Einzige, wovor die Krieger der Barrani in ihrer Jugend Angst hatten, waren Drachenlords.”
“Er darf nicht zum Drachen werden.”
“Das hätte ein Nachspiel, ja. Aber wie du selbst so oft meinst, das hilft den Toten nicht, und es ändert ihren Status ebenso wenig.” Sie nahm Kaylins Hand fast sanft in ihre. “Ein Lord der Barrani hat dich
Kyuthe
genannt. Einer der Drachenlords hat dich … angenommen.”
Sie wendete sich an Sanabalis. “Deshalb musste ich bestehen.” Gepresste Worte.
Er nickte. “Anders könntest du mein Zeichen nicht tragen. Es würde dich vollkommen verschlingen, könntest du den Namen des Feuers nicht nennen. Aber dort, wo du hingehst, Kaylin, bedeuten alle diese Zeichen so gut wie nichts. Sie sind keine Rüstung. Jedoch, es gibt einen Unterschied zwischen fast nichts und nichts.” Er blickte auf ihre Wange. “Und weder der Ring noch das Medaillon haben das Gewicht des Zeichens des Koloniallords. Es wird dir am Hof der Barrani Feinde einhandeln. Sie werden dich einkreisen, wenn du nicht achtgibst, und du wirst überlistet werden.”
Die Aussicht gefiel ihr überhaupt nicht.
“Die Einladung … ist wohl nicht freiwillig?”
“Bei Hofe gibt es Lethe”, antwortete Teela gelassen, “und Schlimmeres. Du könntest ablehnen. Das wurde schon besprochen”, fügte sie hinzu und blickte kurz in die Augen des Falkenlords, “aber letztendlich könnte man dich brauchen, und ich glaube nicht, dass man es mir gestattet, ein zweites Mal mit dir an den Hof zurückzukehren, wenn du nicht annimmst, was man dir anbietet. Du darfst die Hallen offen betreten, als geladener Gast.”
Sie runzelte die Stirn. “Marcus wird das nicht …”
Der Falkenlord verzog
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