Kaylin und das Geheimnis des Turms
klang ihre Stimme.
“Was … was ist das?”
Teela trat vor und streckte Kaylin ihre Handfläche entgegen. Darin lag ein schwerer goldener Ring. Er war groß und trug irgendein Wappen, das nach Elfenbein und Smaragd aussah. Sie kniff die Augen zusammen. Das Wappen schien sich zu bewegen, als wollte es sich dagegen wehren, erkannt zu werden. Sie fluchte. “Das ist Magie.”
“Genau wie das Amulett um deinen Hals.” Die Hand der Barrani regte sich nicht. Nach einem Augenblick nahm Kaylin den Ring. “Soll ich den tragen?”
“Nur wenn du nicht willst, dass der erste Barranilord, der dir in den Hohen Hallen begegnet, dir die Kehle aufschlitzt.”
“Das klingt nach einem Ja.” Sie zögerte und betrachtete ihre Hände. Sie waren schmucklos. “Welcher Finger?”
“Wo er passt.”
“Aber er ist groß.”
“Steck den verdammten Ring endlich auf, Kaylin. Glaub mir, er fällt schon nicht ab.” Teelas Elantranisch war wütend, aber eine willkommene Abwechslung.
Kaylin war Rechtshänderin. Sie steckte den Ring an den Zeigefinger ihrer linken Hand und spürte, wie er
zubiss
. Also wirklich Magie. Und sie lief ihren Arm hinauf wie einer von den blöden Türzaubern. Sie biss sich auf die Lippe und schmeckte Blut, ehe der Schmerz aufhörte.
Und dann, mitten im Westzimmer, ging ihr auf, dass sie jetzt genug Gold bei sich hatte, um in die Elani Street zu rennen, alles zusammenzuraffen, was sie besaß, und die Stadt in der schnellsten Kutsche, die für Geld zu bekommen war, zu verlassen. Und mit so viel Gold war das eine verdammt schnelle Kutsche.
Sie bemerkte den Blick des Falkenlords und wurde rot. Er hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. “Warum muss ich an den Hof gehen?”
“Du hast dem Lord der Westmarsche das Leben gerettet”, antwortete er vorsichtig, “und das ist seine Art, diese Schuld zu begleichen.”
“Lebt er nicht gern?”
“Nach den Vorfällen bei Hofe könnte man das meinen, ja.” Das Lächeln, das die Lippen des Falkenlords verzog, war ein kaltes. Aber kalt war besser als nichts. “Bist du vertraut mit dem Wort ‘Kyuthe’?”
“Etwas.”
“Gut. Wenn du bei Hofe ums Leben kommst, wird er sich gezwungen sehen, den Barrani zu finden und auszulöschen, der dafür verantwortlich ist.”
“Was mir keine große Hilfe mehr wäre.”
“Nein. Du wärest dann tot. Es soll abschreckend wirken. Der Lord der Westmarsche hat seine Mittel und Wege.”
“Er war selber fast tot. So viel zu Mitteln und Wegen.”
Teela kniff Kaylin fest in den Arm. “Bei Hofe wirst du Hochbarrani sprechen”, sagte sie knapp und wechselte selbst in diese Sprache. “Es ist schwerer – viel schwerer –, in dieser Sprache so viel offensichtlichen Mangel an Respekt zu zeigen.”
Sie hielt kurz inne, ehe sie weitersprach. “Du trägst auch das Zeichen des kaiserlichen Ordens der Magier. Auch wenn du dort
nicht
als Repräsentantin des kaiserlichen Hofes erscheinst und du dich auch
nicht
so verhalten wirst, wird man dich erkennen.” Sie sah Sanabalis an.
“Ja”, sagte er liebenswürdig, als könnte Feuer liebenswürdig sein. “Wir kennen das Wort ‘Kyuthe’ in unserer Sprache nicht.”
“Könntet Ihr mir das beibringen?”
“Was?”
“Eure Sprache.”
“Wie bitte?”
“Ich habe Tiamaris gefragt, und anscheinend ist es unmöglich, in der Sprache der Drachen zu fluchen.”
Im Zentrum der Drachenaugen glomm ein goldener Funke. Sein Lachen war laut. “Ich glaube, Tiamaris hat gut daran getan, mit Euren Falken zusammenzuarbeiten, Lord Grammayre. Und, Kaylin, die Antwort lautet Nein.”
Teela stieß sie an. “Versuch aufzupassen”, sagte sie, als Kaylin zu ihr hochsah.
“Mache ich doch.”
“Auf ihre eigene Art”, sagte Lord Sanabalis. Er war jetzt ruhiger. Was entschieden besser war, denn ein verwandelter Drache würde gar nicht ins Westzimmer passen. “Den Barrani waren Verwandtschaften und die Sippe schon immer wichtiger. Sie sind, was das angeht, mehr wie die Sterblichen.”
“Drachen”, fügte Teela kalt hinzu, “sind dafür bekannt, ihre Jungen nach der Geburt zu verschlingen.”
Sanabalis zuckte mit den Schultern. “Das ist schon vorgekommen”, gab er zu, ehe Kaylin fragen konnte. “Und weil uns Verwandtschaft nicht über alles geht – in der Öffentlichkeit, meine ich –, haben wir keine Worte für die Beziehung zu jemandem, der einem wie eigenes Blut nahesteht. Und auch keine Traditionen dafür.”
“Und das Medaillon?”
“Ah. Falls du dich an die alten
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