Kehraus fuer eine Leiche
ausschlafen konnte. Und am Morgen war es eben zu warm für einen Rückmarsch mit Jacke. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, die Handtasche auf dem Vordersitz mitgehen zu lassen.
Unser Örtchen mag Schauplatz von Morden und seltsamen Verhaltensweisen sein, aber gestohlen wird hier nicht.
»Du glaubst also, dass einer von uns den Mann gefahren hat«, sagt Gudrun. »Aber der muss ihn ja nicht gleich ermordet haben.«
»Willst du mir damit etwas sagen?«, frage ich.
»Nein!«, ruft Gudrun entsetzt. »Ich war’s nicht!«
»Ich auch nicht!«, tönen die anderen.
»Jeder hätte in das Auto steigen können«, seufzt Hein. »Der Schlüssel steckt immer.«
»Das wäre schon sehr dreist«, bemerke ich. »Mitten am Tag …«
»Woher weißt du, dass es mitten am Tag war?«, fragt David.
»In der Nacht hätten wir es gehört«, sage ich.
»Wie denn?«, meldet sich Jupp. »Gudruns Zimmer geht nach hinten raus, es gibt schon mal Verkehr, und du hättest drüben in Belgien auch nichts gehört.«
Wahrscheinlich nicht. Mir fällt etwas anderes ein: »In der Nacht hätte er das Kennzeichen nicht lesen können, so verdreckt, wie mein Auto immer ist.«
»Da ist was dran«, sagt Jupp. Der riesige Mann sieht sehr schuldbewusst aus. Zu Recht, denn er hat mir bereits mehrfach eine gründliche Reinigung meines Wagens versprochen. Was ich auch erwarten kann, da er in ihm auf der Suche nach ungewöhnlich geformten Wurzeln oder Steinen über die allzu oft verschlammten Waldwege rund um die Kehr rumpelt und mit seinem Eigengewicht und dem der Fundstücke meine Stoßdämpfer ruiniert hat.
Aber keiner kann sich erinnern, meinen Wagen in den vergangenen Tagen ein paar Stunden lang vermisst zu haben, ausgerechnet in der Stresszeit vor der Eröffnung. Wir alle hatten das alte Auto ständig benutzt, um aus Prüm, Jünkerath oder Malmedy noch irgendetwas herbeizuschaffen. Eigentlich unmöglich, dass sich gerade in dieser Zeit ein Fremder des Fahrzeugs bemächtigt haben soll.
»Außer am Sonntag«, sagt Hein plötzlich. »Da haben Jupp und ich dich aus der Küche geschleppt, und wir sind mit meiner Roten Zora zum Brunch ins Burghaus Kronenburg gefahren.«
»Ohne uns«, bemerkt Gudrun pikiert.
»Wir wollten euch Turteltäubchen nicht wecken. Es war schon eine ziemliche Aktion, Katja von ihrer Schnipselei wegzulotsen.«
»Ihr habt mich entführt!«, erkläre ich empört.
»Zum Glück hast du dich nicht mit dem Messer gewehrt; Jupp hatte ganz schön Mühe, es dir zu entwinden! Und dann hast du die paar Stunden außer Haus richtig genossen. Manche Leute muss man eben zu ihrem Glück zwingen.«
»Moment mal«, sage ich langsam. »Das war mein Santoku-Messer! Wo hast du es hingetan, Jupp?«
»Hein gegeben, als ich dich rausgetragen habe. Es sollte ja keiner verletzt werden. Warum? Ist das etwa das Messer mit dem Holzgriff, das du die ganze Zeit suchst?«
»Ja, zum Teufel!« Ich wende mich an Hein. »Wo hast du es hingelegt?«
»Draußen auf den Fenstersims. Wir hatten es ja eilig, dich ins Auto zu schaffen, damit du uns nicht entkommst …« Seine Stimme verliert sich. Er starrt mich erschrocken an.
»Da hätte ich es bestimmt gesehen«, murmele ich.
Wir springen alle gleichzeitig auf und rennen vor die Tür.
Der Blick auf den leeren Fenstersims ist gänzlich frei, da mein Auto nicht mehr davorsteht.
Betroffen sehen wir einander an. Wir denken alle das Gleiche und schweigen sehr lange. Schließlich fasst Gudrun nach meiner Hand, auf der das einzahnige Krokodil jetzt unerträglich juckt.
»Das musst du Marcel sagen«, flüstert sie.
»Mach dich nicht verrückt«, krächzt Hein. Er räuspert sich. »Das wäre schon ein ungeheurer Zufall – erst dein Auto, dann dein Messer …«
»Vielleicht Schicksal?«, bietet David an, ein Kommentar, der mich angesichts meiner Kehrer Vergangenheit nicht gerade aufbaut. »Wie ist deine Autonummer?«
Ich sage es ihm.
»Drei Buchstaben, drei Zahlen«, überlegt David. »Kein Zufall. Wenn es etwas anderes als deine Nummer ist, dann ist das …«
Er blickt Gudrun Hilfe suchend an.
»… wie ein Sechser im Lotto«, vervollständigt sie seinen Satz und sieht nachdenklich zu mir.
In der Tat. Nicht in eine Mordgeschichte hineingezogen zu werden, wäre für mich ein Hauptgewinn.
Gudrun greift jetzt auch nach meiner linken Hand. »Hör auf zu kratzen, Katja!«
»Du bist an allem unschuldig«, sagt Jupp, »und dein Auto auch. Das wird die Spurensicherung bestimmt ergeben.«
Aus Erfahrung
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