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Kehraus fuer eine Leiche

Kehraus fuer eine Leiche

Titel: Kehraus fuer eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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lautstark peitscht, und stößt einen tiefen Seufzer aus.
    »Das kann ich mir denken«, sage ich, »darüber liest man ja immer wieder …«
    »Ach ja?« Herr Pee wendet sich wieder mir zu und zieht einen Stift aus der Brusttasche. »Liest man auch darüber, wie es den nackten kleinen Dingern ergeht, wenn man sie in ein normales Leben entlässt? Wie sie sich selbst kaputt picken, weil sie mit ihrer Freiheit nichts anfangen können, wie sie vor Angst zitternd herumstehen, dabei mitten am Tag einschlafen, weil sie Tag und Nacht nicht kennen? Wie sie ihr riesengroßes Ei am ersten Tag einfach fallen lassen und danach nichts mehr legen, weil sie noch nicht begriffen haben, dass sie Gras fressen können und sollen? Wie sie das Scharren und richtige Eierlegen erst lernen müssen? Das Leben überhaupt? Diese armen Tiere sind unsere Schutzbefohlenen, Frau Klein, und wir dürfen sie nicht überfordern.«
    Da ich bisher nur an die Eiausbeute und den praktischen Nutzen der frei Haus gelieferten Hühnerprodukte gedacht habe, komme ich mir jetzt recht schäbig vor.
    »Ich bestehe nicht auf den zwanzig Eiern«, sage ich eilig, nehme seinen Stift entgegen, unterschreibe die Patenschaftsurkunde über zwanzig namentlich nicht näher bezeichnete Hühner und lege einhundertfünfzig Euro auf den Tisch. Das Kleingedruckte werde ich später lesen. Nachbarn auf der Kehr ziehen einander nicht über den Tisch.
    »Meine Töchter werden sich sehr gut um Ihre Schützlinge kümmern«, sagt Herr Pee, während er mir eine ordnungsgemäße Quittung ausstellt und die Transaktion der Hühneradoption somit erledigt ist.
    »Dann kann mir eine von ihnen ja jetzt die Tiere zeigen«, bemerke ich.
    »Damit sollten wir bis nach dem Regenguss warten«, meint er. »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Gern«, sage ich und freue mich über die Gelegenheit, Herrn Pee mit einigen diskreten Fragen auf den Zahn fühlen zu können. Auf der Kehr sollte man alles über seine Nachbarn wissen. Damit sich die unangenehmen Überraschungen in Grenzen halten.
    »Patrizia!«
    Mein Handy meldet sich. Ich ziehe es aus der Jackentasche und trete ans Fenster.
    Der Lärm des Regens an den Scheiben erschwert die Verständigung. Zumal Gudrun so aufgeregt ist, dass ich erst nach mehrmaligem Nachfragen dahinterkomme, was los ist. Linus scheint völlig durchnässt allein in die Einkehr zurückgekommen zu sein. Er belle wie verrückt, springe dauernd auf und ab und sei offensichtlich verzweifelt, sich nicht vernünftig verständigen zu können.
    »Dem David ist was passiert!«, heult Gudrun. »Vielleicht ist er ausgerutscht, hat sich den Kopf gestoßen und liegt jetzt da in seinem Blut! Was soll ich nur tun?«
    »Raus mit dem Hund und such ihn! Weit kann er ja nicht gekommen sein. Ich geh auch sofort los, Gudrun. Wir sehen uns gleich.«
    »Probleme?«, fragt Herr Pee, als ich das Handy wieder einstecke. Patti steht in der Tür und sieht ihren Vater fragend an.
    »Scheint so«, antworte ich und schiebe mich an Patti vorbei. »Entschuldigen Sie mich bitte. Wir vertagen Kaffee und Hühnerschau.«
    Ich bin schon fast auf der Straße, als mich Patti eingeholt hat. Sie reicht mir einen großen schwarzen Schirm.
    »Bitte kommen Sie bald wieder«, flüstert sie mit einer Dringlichkeit in der Stimme, die mich stutzig machen würde, wenn mich jetzt nicht andere Sorgen plagen würden. Auf der Kehr kommt ein Mord selten allein. Aber so etwas darf ich jetzt nicht einmal denken. Schließlich ist Steffen Meier im belgischen Eiterbach ums Leben gekommen.
    »Danke«, sage ich, »ganz bestimmt. Ich muss ja den Schirm zurückbringen. Ach ja, und meine heutigen Eier …«
    »Ich bringe sie Ihnen nachher!«
    »Patrizia!«
    Die Stimme des Vaters duldet kein längeres Verharren. Kein Wunder, dass das Mädchen den zum Imperativ missbrauchten Vornamen ablehnt. Patti huscht davon, und ich stürme den Hügel hinauf. Durch die Regengardine erkenne ich einen schwarzen Punkt an der Wegbiegung, der schnell größer wird und sich als mein Hund herausstellt. Mit weit nach hinten gezogenen Lefzen hetzt er auf mich zu.
    »Ruhig, Linus«, sage ich, selbst ganz außer Atem, und klopfe ihm mit der wieder heftig juckenden Hand aufs schwarz glänzende nasse Fell. Er springt an mir hoch und bellt, wie er nur bellt, wenn seine Welt aus den Fugen geraten und mit keinem Leckerli zu kitten ist.
    »Schon gut, Dicker, lauf, such David!«
    Er zischt wieder in die Richtung los, aus der er gekommen ist.
    Ich kann nicht so schnell laufen

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