Kehraus fuer eine Leiche
noch’n paar Fragen an dich«, kündigt Marcel mit ernster Miene an.
»Ich erzähle Ihnen gern alles über meine Verbrechen, aber meine Rezepte rücke ich nicht raus«, sage ich amüsiert. »Was schmeckt Ihnen denn am besten?«
Da seine Geschmackspapillen gerade meinen Knollenziestsalat mit Korianderblättern testen, warte ich nicht auf eine Antwort, sondern schaue nach, ob es den anderen Gästen auch so gut mundet.
Dem Alkohol wird kräftig zugesprochen, aber die eifelfremden Häppchen erleiden ein Mauerblümchendasein. Man beginnt es ihnen anzusehen.
»Das reicht!«, flüstert mir Gudrun plötzlich zu und schreit quer durch den Gastraum: »Wer möchte Rühreier mit Speck und Bratkartoffeln?«
Die vielen erleichterten Hier -Rufe schmerzen in meinen Ohren und meinem Herz für das Besondere, aber ich knicke ein und überlasse Gudrun die Küche.
»Mach dir nichts draus«, flüstert mir Marcel zu. »Menschen in Grenzgebieten bleiben aus gutem Grund lange beim Vertrauten. Veränderungen muss man hier vorsichtig angehen. Nicht mit einem Knall. Eieromelett ist immer gut. Leg noch ein paar Essiggürkchen dazu, und verzier das Ganze mit Petersilie. Und biete ein normales Jägerschnitzel an. Glaub mir, ich weiß, was die Leute hier mögen.«
»Du weißt ja immer alles!«, zische ich zurück. »Warum hast du mich dann machen lassen?«
Er braucht nicht zu antworten. Ich weiß ja selbst, dass ich allen Ratschlägen gegenüber völlig immun war.
Marcel streicht mir die graue Strähne von der Stirn.
»Ich weiß eben nicht alles, deswegen würde ich gern was von dir wissen«, sagt er und dann: »Komm mal mit!«
Der ungewohnte Befehlston der letzten drei Worte lässt mich gehorchen. Ich folge ihm in die Kammer, die Gudrun und David bewohnen, und sehe ihn erwartungsvoll an.
»Was?«, frage ich gespannt.
Marcel zieht ein Papier aus seiner Hosentasche und reicht es mir. Die Kopie eines Passfotos. Ein mittelblonder Mann etwa Ende zwanzig lacht mich an.
»Wer ist das?«, frage ich.
»Hast du diesen Mann vor Kurzem auf der Kehr gesehen, zum Beispiel bei der Kirche oder vor der Einkehr? «
Ich schüttele den Kopf.
»Keine Ahnung.«
»Schau dir das Bild bitte richtig an.«
Ich registriere eine kleine Zahnlücke und einen möglichen Pickel auf der Stirn.
»Du hast ihn schon mal gesehen«, sagt Marcel eindringlich.
Ich hebe die Schultern.
»Für Leute in meinem Alter sehen Knaben in dem Alter da alle gleich aus«, seufze ich. »Wie Chinesen. Wie tausend andere.«
»Auf die Kehr kommen weder Chinesen noch tausend andere. Der Mann wäre dir hier aufgefallen.«
»Und woher willst du wissen, dass ich ihn schon mal gesehen habe?«
»Weil ich mindestens einmal dabei war.«
Er malt ein großes Viereck in die Luft, stemmt kokett eine Hand in die Hüfte und macht einen Kussmund.
Endlich dämmert es mir.
»Doch nicht der Bauarbeiter!«
»Genau der. Der Mann auf dem Kalender. Steffen Meier.«
»Deine Leiche«, murmele ich.
»Bevor er das war, hat er sich vor sehr Kurzem hier auf der Kehr aufgehalten. Nebenan in der Kapelle.«
»Woher weißt du das?«
»Weil wir den Pfarrbrief in seiner Hosentasche gefunden haben. Den Kirchenzettel, wie die Kollegen aus Euskirchen sagen, und die haben eben bestätigt, dass ihre Spurensicherung in der Kapelle …«
»… von ihm Spuren gefunden hat«, beende ich atemlos seinen Satz. »Bitte, bitte nicht wieder ein Mord auf der Kehr!«
Marcel schüttelt den Kopf.
»Nein, er ist eindeutig bei Eiterbach ermordet worden.«
»Gott sei Dank.«
»Aber …« Marcel sieht mich aus tieftraurigen Augen an.
»Aber was?«, frage ich beunruhigt. Diesen Blick kenne ich nur zu gut. Auch, wenn ich ihn nur selten gesehen habe. Immer dann, wenn er mich verdächtigt, ihm etwas Wesentliches zu verheimlichen. Zum Beispiel einen Mord.
»Aber er könnte seinen Mörder hier getroffen haben.«
Ich atme aus.
»Nur weil er einen Kirchenzettel von der Kapelle eingesteckt hat?«, frage ich bemüht unbekümmert, ahnend, dass noch etwas hinterherkommt.
»Warum hat er das wohl gemacht?«, fragt Marcel prompt zurück.
»Weil er demnächst eine Messe besuchen wollte?«, schlage ich vor. Dieser lauernde Blick. Marcel hat noch einen Trumpf im Ärmel.
»Wohl kaum. Er hat ihn als Notizzettel benutzt. Nun rate mal, was er darauf geschrieben hat.«
»Woher soll ich das wissen? Mach es nicht so spannend, Marcel, was steht denn auf dem Zettel?«
»Das konnten wir zunächst nicht so recht entziffern, auch wenn mir
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