Kehraus fuer eine Leiche
keine böse Überraschung erleben.«
Samstagmorgen
Ob die Überraschung böse ist, vermag ich jetzt, am nebeligen frühlingskühlen Morgen, noch nicht zu sagen. Aber ich befürchte es. Sie steht auf den Stufen der Einkehr und sieht mich erwartungsvoll an.
Die Frau im Hosenanzug ist etwa zehn Jahre jünger als ich, schlank und sehr resolut. Ihr magentaroter Haarschopf hätte Hein begeistert. Aber der ist leider nie da, wenn man ihn braucht. Ich brauche von dieser Erscheinung erst einmal eine Atempause. Denn die Frau und das, was wie eine sichtbare Aura um sie herumwabert, nimmt mir alle Luft. Und irgendetwas an dem Jungen neben ihr auch. Ich spüre es wie das Dampfen einer Eisenbahn aus uralten Zeiten. Das einzahnige Krokodil kribbelt. Hier dräut Unheil. Auf den Stufen meines Restaurants zelebriert diese Frau den Augenblick, auf den sie seit Erschaffung der Welt, ihrer Welt, hingelebt hat.
Es ist nur eine Vorahnung, aber ich bin auf vieles gefasst. Allerdings nicht auf das, was sie mir zu sagen hat.
Ohne sich und den etwa siebzehnjährigen Knaben vorzustellen oder respektvollen Abstand vor dem Riesenhund neben mir einzuhalten, begrüßt sie mich sehr eifelerisch: »Ich weiß, Ihr habt noch geschlossen. Aber ich bin nicht hier, für was zu essen. Wir müssen zu dem David. Ich habe gehört, er ist endlich zurückgekommen. War ja auch höchste Zeit, dass er seinen Sohn kennenlernt.«
7_MUTMASSUNGEN
Samstagmorgen
Wer mich am frühen Morgen derart überrumpelt, bedarf keinerlei Schonung.
»Geht nicht. David liegt verletzt im Krankenhaus«, sage ich unwirsch, schiebe mich an den beiden vorbei, schließe auf und betrete mein Restaurant. »Komm, Linus.«
Als er mir nicht in die Küche vorausjagt, wende ich mich um und erlebe die zweite Überraschung dieses gerade erst erwachenden Tages. Mein Hund schmiegt sich an den schlaksigen Jungen mit den gestutzten Seeigelhaaren und lässt sich glücklich erhobenen Hauptes den Hals kraulen. Ich wundere mich nicht über Linus, der schnappt sich jede Streicheleinheit, die er kriegen kann. Aber noch nie hat es ein fremder Mensch gewagt, sich freiwillig diesem schwarzen Ungetüm so unbekümmert zu nähern. Was Linus selbst oft sichtlich zu schaffen macht. Er hat nie Böses gelernt, möchte wirklich nur spielen. Versteht nicht, weshalb diejenigen vor ihm zurückschrecken, die er freudig begrüßen will. Wie sollte er auch wissen, dass in ihm nicht nur der kinderfreundliche Labrador steckt, sondern auch ein gelisteter Kampfhund, ein Staffordshire-Terrier? So etwas sieht natürlich nur ein Experte. Ein normaler Mensch sieht einen Höllenhund, vor dem er sich in Sicherheit zu bringen hat. Ging mir bei der ersten Begegnung genauso. Diesem Jungen – Davids Sohn, wenn ich das richtig verstanden habe – scheint solche Scheu fremd zu sein.
»Im Krankenhaus?«, murmelt die mutmaßliche Mutter. Das Gesicht unter der Fuchsiafarbe beginnt, den helleren Ton ihres Haaransatzes anzunehmen.
»Kommen Sie rein, ich mach uns einen Kaffee«, sage ich. Vortäuschung von Gelassenheit betrachte ich als einen Vorzug des Älterwerdens. Auch wenn ich vor Neugierde fast platze, zwinge ich mich, auf mein mühsam erlerntes Gespür fürs richtige Timing zu achten. Zwischen Tür und Angel werde ich weder die Geheimnisse um David lüften, noch die Kontrolle über die Gesprächsführung behalten können. Was bei einem Menschen notwendig ist, der auf meinem eigenen Terrain so unverfroren auftritt.
»Wird er überleben?«, fragt die Frau flüsternd, als sie mir prompt in die Küche folgt.
»Sieht ganz so aus«, sage ich und stelle die Kaffeemaschine an. Ich lasse eiskaltes Wasser über das unverändert scharf gezeichnete Krokodil laufen und deute mit der anderen Hand auf den Küchenhocker. »Setzen Sie sich. Was haben Sie mit David zu tun? Woher kennen Sie ihn? Wer sind Sie?«
Sie bleibt stehen.
»Ich bin die Regine Seifenbach aus Prüm, das ist mein Sohn Daniel. Davids Sohn.«
Sie blickt mich erwartungsvoll an. Jetzt habe ich ihr gefälligst zu enthüllen, wie ich an den Vater ihres Sohnes geraten bin. Den Gefallen tu ich ihr nicht; das ist Gudruns Revier. Da wildere ich nicht, sondern schweige.
Weil dies uns beide nicht weiterbringt, formuliert sie ihren Besitzanspruch neu: »Mein Sohn ist vor achtzehn Jahren von dem David gezeugt worden. Jetzt wissen Sie, was ich mit ihm zu tun habe.«
Als ich immer noch nicht reagiere, setzt sie drängender nach: »Nun sagen Sie doch! Was ist mit dem David
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