Kehraus fuer eine Leiche
Klein, als wir Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei vor dem Leitstand sahen«, sagt er.
»Ihr hättet abschließen sollen«, entgegne ich im gleichen Tonfall, den Marcel zu diesem Thema uns gegenüber immer anschlägt.
»Wir waren doch nur kurz fort! Und im Container gibt es gar nichts zu holen. Was hatte Ihr Freund da überhaupt zu suchen?«
Die Frage habe ich mir natürlich auch schon gestellt.
»Vielleicht Schutz vor dem Regen?«, schlage ich vor.
»Natürlich«, mischt sich Hein ein. »Und dann kam ein anderer Wanderer, der auch Schutz vor dem Regen gesucht hat, und weil es für zwei da zu eng ist, hat er dem David eins übergebraten.«
»Das ist überhaupt nicht lustig«, protestiert Jupp. »Eins verstehe ich nicht: Wie konnte ihn jemand angreifen, wenn er Linus dabeihatte?«
Diese Frage hat mir die Prümer Polizei schon am Nachmittag beantwortet.
»Er hat den Hund draußen im Regen gelassen«, antworte ich. »Wahrscheinlich aus Angst davor, dass er Matsch in den Raum schleppt und alles durcheinanderbringt. Ihr wisst doch, wie pingelig David ist.«
Wenig später verabschieden sich die beiden Kampfmittelräumer mit dem Versprechen, ihre Leitstelle künftig immer abzuschließen und demnächst bestimmt wieder meine köstlichen Rühreier verspeisen zu wollen. Da erst besinne ich mich auf den eigentlichen Sinn und Zweck meines Verbleibs auf der Kehr. Ich führe ein Spezialitätenrestaurant.
»Rühreier können Sie auch sehr gut bei Marlene Jenniges in der Hallschlager Hexenküche essen«, sage ich. »Wir bieten unseren Gästen hier etwas ganz Besonderes. Schauen Sie doch das nächste Mal in unsere Karte. Da wird Ihnen schon beim Lesen das Wasser im Mund zusammenlaufen.«
»Ja, wenn da auch ein Jägerschnitzel bei ist«, sagt der Ältere und leckt sich die Lippen. Sein Kollege reicht mir die Hand und setzt hoffnungsvoll fragend hinzu: »… mit richtigen belgischen Pommes?«
Hinter mir höre ich Hein glucksen. Ich wahre Haltung und wünsche den beiden Männern an der Tür eine gute Nacht.
»Gute Nacht ist gut«, meint Hein und wedelt sich am Eingang mit seinen frisch manikürten Fingern Luft zu. »Meinst du wirklich, es lohnt sich, den Laden heute noch aufzulassen? Bei dem Wetter kommt bestimmt niemand mehr.«
»Doch«, sage ich und deute in die Nacht Richtung Verbotsgelände. »Da drüben ist jemand.«
»Das Eiermädchen«, erklärt Jupp, der Patti mit ihrem Tablett schneller erkannt hat als ich.
»Noch mehr Eier!«, stöhnt Hein. »Das war ganz schön voreilig mit deiner Hühneradoption. Wenn das so weitergeht wie heute, sollten wir die Eier selbst ausbrüten und eine Hühnerfarm eröffnen.«
»Das wäre eine zu große Investition«, erklärt Jupp, dessen Sinn für Ironie gelegentlich durch seine Sehnsucht nach Harmonie getrübt wird. »Aber die Grundidee ist nicht schlecht. Wenn wir uns im Restaurant nur auf Hühnerspezialitäten konzentrieren würden?«
Nach dem Vortrag des Herrn Pee über die armen ungefiederten, sich selbst zerpickenden, schlafgestörten, lebensfremden Geschöpfe aus den Legebatterien erwäge ich eher, sämtliches Geflügel von der Speisekarte zu streichen.
»Heute bleibt die Küche kalt …«, murmele ich. Verständnislos sehen mich die beiden Männer an. Als alte Henne setze ich erklärend hinzu: »Diese Geschäftsidee atmet den Geist der Fünfziger, und die Amerikaner …«
»Der arme David«, stöhnt Jupp, als Patti sich den Stufen der Einkehr nähert.
»Kommen Sie rein«, fordere ich das Mädchen auf.
Ohne Hein und Jupp zu begrüßen oder auch nur anzusehen, schüttelt Patti den Kopf.
»Geht nicht«, flüstert sie, reicht mir die Eier und verschwindet im Dunkel, bevor ich Gelegenheit habe, irgendeine Frage zu stellen oder ihr den Schirm zurückzugeben.
»Schwer verhaltensgestört«, bemerkt Hein. »Das ist mir gestern Abend schon aufgefallen. Bei der Schwester übrigens auch.«
So zutreffend diese Bemerkung auch sein mag, sie verletzt mich fast so wie ein persönlicher Angriff. Vielleicht, weil man mir im Alter der Schwestern auch eine Verhaltensstörung zugeordnet hätte, wenn das Wort damals schon Mode gewesen wäre. Mich trennte mein enormes Übergewicht vom Rest der für mich interessanten Welt. Die ging mir daraufhin an meinem massiven verlängerten Rücken vorbei und machte mich zu einer Menschenfeindin. Die später als Moderedakteurin arbeitete und dabei gertenschlanken Frauen Klamotten zeigte, die selbst diese nicht tragen konnten, ohne sich lächerlich zu
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