Kehraus fuer eine Leiche
hat. »Jetzt erinnere ich mich wieder! Er handelte mit Rindern und hatte einen kleinen Hof in Weckerath.«
»Belgien«, bemerkt Marcel und sieht mich triumphierend an.
»Und dann ist er pleitegegangen?«, frage ich.
»Wäre kein Wunder«, sagt Regine, die jetzt unsere Frühstücksteller aufeinanderstapelt, als würde sie hier auch arbeiten. »Wo die Eifeler Bauern heute ihre Kühe aus Meck-Pomm kommen lassen, Kühe mit Rieseneutern, die am Tag bis zu siebzig Liter Milch geben, krank ist das, wenn ihr mich fragt.« Sie trägt die Teller in die Küche.
»Was ist denn normal?«, frage ich, nicht sonderlich interessiert.
»Früher haben wir uns über zwanzig Liter gefreut«, antwortet Gudrun und haut plötzlich mit der Faust auf den Tisch. »Hein, war das nicht der Viehhändler, der uns vor Jahren in eine üble Sache mit reinziehen wollte?«
Ich spitze die Ohren. Üble Sachen scheinen mir zu Herrn Pee zu passen. Hein rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
»Davon weiß ich nichts«, sagt er. »Was meinst du damit?«
»Die Geschichte mit den Bullen!«, drängt Gudrun. »Erinnerst du dich denn nicht?«
»Also hatte er schon mal mit der Polizei zu tun?«, fragt Marcel in jenem irritierten Ton, den er immer draufhat, wenn seine Berufsbezeichnung ins Tierreich verlegt wird.
»Nein, nicht mit der Polizei. Mit dem Zoll. Der tauchte plötzlich mit diesem Mann hier auf und wollte von uns wissen, ob wir ihm acht Bullen verkauft hätten. Was er behauptet hat und was nicht stimmte.«
»Weil wir nie Bullen hatten«, bestätigt Hein.
»Genau. Der Prönsfeldt hat mir und deinem Vater zugezwinkert und Zeichen gemacht, aber wir sind hart geblieben.«
»Chapeau«, lobt der belgische Polizeiinspektor sichtlich versöhnt.
»Damals habe ich in Köln gelebt und nicht mitbekommen, was hier so alles abging«, sagt Hein, »außer, dass mich meine Eltern ständig mit der Gudrun verkuppeln wollten, damit der Hof in anständige Hände kommt und sie endlich Enkelkinder kriegen.«
Womit sich das Gespräch den nicht immer so guten alten Zeiten auf der Kehr zuwendet. Ich wechsele einen Blick mit Marcel und stehe auf.
»Wir sind dann mal weg«, sage ich und nehme als Wegzehrung den letzten Brownie von David mit. Vor der Tür bietet sich Daniel mit Linus als Begleitung an und ist schwer enttäuscht, als wir ablehnen.
»Er muss masochistisch veranlagt sein«, sage ich zu Marcel, »dass er nach Pias gestrigem Auftritt überhaupt noch dahin will.«
»Manchmal lohnt Beharrlichkeit im Umgang mit dickköpfigen weiblichen Wesen«, bemerkt Marcel und blickt angelegentlich über die sanft geschwungenen Weiten der Ardennenausläufer. Der Regen hat die letzten weißen Flecken in den Hügelschatten weggespült. Belgien erstrahlt in frischem hellen Grün. Die Landschaft bietet nicht nur die übliche grandiose, sondern sogar eine liebliche Aussicht, ein Begriff, der normalerweise zu diesem Teil der Eifel so passt wie zu meiner Person. Ich stopfe mir den Brownie in den Mund, ziehe meine Jacke aus und hänge sie mir um die Schultern. Der bleiche Spätwinterschimmer um die Sonne ist verschwunden, sie leuchtet freundlich und wärmt mir die Seele. Was diese braucht, angesichts des Ganges, den wir vor uns haben.
Ich atme tief ein, vermeine sogar Blütendüfte wahrzunehmen. Natürlich eine reine Illusion, da sich noch keine Knospe geöffnet haben kann. Und doch ist hier über Nacht der Frühling ausgebrochen. Das aber darf auf der Schneifel, der Schnee-Eifel, nicht dazu verführen, die Winterkleidung einzumotten oder gar schon an Blumenkästen zu denken. Diese Lektion habe ich im Vorjahr gelernt, als mich eines Morgens Mitte Mai sämtliche Geranien auf dem Fensterbrett vor der Einkehr steif gefroren anklagten. Ich hatte mir an einem Sonnentag ähnlich wie dem heutigen einfach nicht vorstellen können und wollen, dass der Winter noch mal die Macht zurückerobern könnte. Gudrun hatte mich angefleht, die Blumen wieder reinzuholen. Es bringe sie um, wenn man ihnen vor den Eisheiligen frische Luft zumute. Ich schlug ihre Warnung in den Eifeler Wind und hinterher die malträtierten Pflanzen aus den Kästen heraus.
Sosehr es mir wieder in den Fingern juckt – dieses Jahr werde ich mich zurückhalten. Das raue Grenzland schüttelt frühestens dann den letzten Reif von den Hängen, wenn die so verehrten und gefürchteten Eisheiligen Pankratius, Servatius, Bonifatius und die Kalte Sophie durchgezogen sind. Manchmal aber auch noch später: Nachtfrost im Juni
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