Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kehraus fuer eine Leiche

Kehraus fuer eine Leiche

Titel: Kehraus fuer eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
politisch unbekümmerte Mutter hatte diese Marmelade geliebt. Die weiße Dose hatte unsere gemeinsame Frühstückstafel bis zu jenem Tag gekrönt, an dem ich alt genug war, um die Worte Apartheid und Boykott zusammenzuführen. Von da an war Koo tabu. Nie werde ich das Leuchten in den Augen meiner Mutter vergessen, als ich Anfang der Neunziger mit einem frischen Exemplar der Blechdose vor ihrer Tür stand. Bis zu ihrem Tod war sie davon überzeugt, mit ihrem persönlichen Opfer des Boykotts Menschen aus grauenvoller Not befreit zu haben. Und weil die Aufhebung der Apartheid zeitlich fast mit der deutschen Wiedervereinigung zusammenfiel, gehörte für sie beides zusammen: Menschen wurden aus Abhängigkeit befreit. Meine Gedanken überstürzen sich.
    Ich fange an, mit vollem Mund zu reden, spreche von den auf dem Gnadenhof eingesperrten Mädchen, die nicht einmal die Haustür öffnen und offenbar nur mit Eiertabletts beladen das Gelände verlassen dürfen. Wie könnte da eines dieser Geschöpfe etwas mit einer Modelagentur in Köln zu tun haben? Ohne Handy, ohne Transportmöglichkeit, aber mit einem Zerberus als Vater?
    »Vielleicht wollte Pia gestern gar nicht abhauen, sondern hatte heimlich einen Termin mit der Agentur?«, überlegt Marcel. »Aber wie wollte sie nach Köln kommen?«
    »Mit mir«, sagt Hein nachdenklich. »Sie hat mir in meinem Haus aufgelauert und wollte unbedingt, dass ich sie sofort nach Köln fahre. Ich hätte doch so ein schnelles Auto. Was sie in Köln wollte, hat sie mir nicht verraten. Und da ich Minderjährige nicht entführe, habe ich das Mädel schön brav bei sich zu Hause abgesetzt. Der Vater stand wie gerufen vor der Tür. Mann, war die sauer!«
    »Sie war bei dir?«, frage ich ungläubig, während sich Marcel nach dem Wann erkundigt.
    »Nachdem ich Katja und Daniel am Gnadenhof gelassen habe«, antwortet Hein und redet weiter. Er sei nach Hause gefahren, um seinen Laptop abzuholen, und habe Pia in seinem – natürlich unverschlossenen – Haus in Losheim angetroffen. Ich kann das kaum glauben. Die schüchterne Hühnervermittlerin, die keinen Mann ansieht, sucht einen Fremden in seinem Haus auf und verlangt von ihm, mit ihr nach Köln zu düsen? Hätte ich gestern nicht die unangenehme Szene zwischen Pia und Daniel miterlebt und heute nicht das Foto gesehen, wäre ich jetzt geneigt, mehr an Heins Behauptung als an meiner Menschenkenntnis zu zweifeln. Aber warum sollte er diese Geschichte erfinden? Beim ersten Blick auf Pia ist meine Phantasie mit mir durchgegangen, und zwar offensichtlich in eine völlig falsche Richtung. Sie ist nicht das unschuldige Landei, als das ich sie sehen wollte. Sie ist offenbar mit vielen Wassern gewaschen. Weiß der Vater, welch kleines Luder seine Jüngste zu sein scheint? Rührt da seine Strenge her?
    Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass sie für ein Shooting nach Köln fährt, sich ein sexy Outfit anlegt und danach wieder als Unschuldslamm zu Hause aufkreuzt. Auch Pattis gestrige Reaktion spricht gegen einen solchen Freigang ihrer Schwester: Wie soll sie sich denn ohne mich durchschlagen? Das klang, als befürchte sie, Pia nie wiederzusehen. Weshalb hat mich Patti neulich so eindringlich um ein Zurückkommen gebeten? Auf alle diese Fragen möchte ich nach dem Frühstück Antwort bekommen, auf jene, die Heins Äußerung aufwerfen, sofort:
    »Wieso kennt sie dich? Warum geht sie zu dir? Woher weiß sie, wo du wohnst?«, frage ich.
    »Sie kennt uns von früher her«, meldet sich Jupp zu Wort. »Ihr Vater hat damals die Kühe von hier gekauft. Nach der Sache mit Heins Eltern. Weil Hein den Hof nicht weiterführen konnte.«
    Und wenn er gekonnt nicht gewollt hätte, setze ich für mich hinzu.
    Jupp wendet sich an seinen Freund. »War die Kleine nicht auch dabei, als ihr Vater mit David den Pachtvertrag für den Gnadenhof klargemacht hat?«
    »Möglich«, sagt Hein. »Weiß ich nicht mehr genau, könnte auch die andere gewesen sein; eines der Mädchen hatte er jedenfalls mitgeholt.«
    »Ich dachte, ihr habt die Prönsfeldts durch eine Anzeige kennengelernt«, sage ich, nun völlig verwirrt.
    »Sie haben sich auf unsere Anzeige gemeldet, aber wir hatten früher schon mal mit ihnen zu tun gehabt«, erläutert Hein. »Deshalb ging das mit dem Gnadenhof doch so schnell und unbürokratisch. Mit Handschlag, eben wie damals, als der Prönsfeldt noch mit Vieh gehandelt hat.«
    »Richtig!«, ruft Gudrun, die sich einst bei Heins Eltern um deren Kühe gekümmert

Weitere Kostenlose Bücher