Kehraus fuer eine Leiche
Pee errichtet Mauer und Stacheldraht um den Gnadenhof. Telefonisch oder per E-Mail fleht das Mädchen Steffen Meier um Fluchthilfe an. Zu allem Überfluss haben sich die beiden unsterblich ineinander verliebt. Schöne Menschen verlieben sich immer in ähnlich schöne Menschen, das nennt man projizierten Narzissmus. Also kommt er auf die Kehr, um Pia aus ihrem Dornröschenhof zu befreien und mit ihr abzuhauen. Vielleicht irgendwo Richtung Süden. Da wollen die Leute doch immer hin. So schöne junge Menschen finden überall ihr Auskommen. Das nennt man …«
»… Glück«, unterbricht mich Marcel. »Und Steffen Meier ist damit auch seine gigantischen Schulden los. Aber er kommt nicht sehr weit.«
»Nur bis Eiterbach«, sage ich. »Und schon auf der Elbchaussee taten ihnen die Beine weh.«
»Was?«
»Nichts, mir fielen eben ein paar Ameisen ein.«
»Die rennen um diese Jahreszeit immer aus ihrem Bau rein und raus«, sagt Marcel. »Damit er nach dem Winter ordentlich warm wird. Was hat das mit Pia zu tun? Oder ist das wieder eines deiner Gleichnisse?«
»Nein, das ist Ringelnatz. Egal, vielleicht hat ihn der Wirzig doch umgebracht, den Meier meine ich.« Dankbar, dass sich Marcel über meine literarisch-chaotischen Ausführungen nicht amüsiert, fabuliere ich weiter: »Sie verabreden sich in der kleinen Kapelle auf der Kehr. Pia sieht, dass in meinem Auto der Schlüssel steckt, betrachtet das als göttliche Fügung, steigt ein und holt ihren Lover ab, der in der Kapelle auf sie wartet.«
»Und das Messer?«, fragt Marcel.
»Sie sieht es auf dem Fenstersims und nimmt es spontan mit. Für alle Fälle. Um Baguette zu schneiden oder eine Wassermelone zu schlachten, zum Beispiel. Genug Geld für gepflegtes Restaurantessen haben die beiden ja noch nicht.«
»Warum sollte Steffen Meier dann deine Plaquennummer auf dem Pfarrbrief notieren?«
»Damit er es bei einer Kontrolle schnell aufsagen kann? – Du hast recht, nicht sehr glaubwürdig. Jemand anders muss das Auto gefahren haben; vielleicht der Wirzig. Ist auf der Jagd nach seinem Schuldner Meier auf der Kehr aufgetaucht, hat Pia fortgescheucht oder verschreckt, das Kommando übernommen und mein Auto geklaut, damit in seinem keine Spuren entdeckt werden können. Der Meier wird misstrauisch, als er seinen Gläubiger am Steuer eines belgischen Autos sieht, und notiert die Nummer, bevor er einsteigt. Im Auto kommt es zur Konfrontation. Der Wirzig bedroht den Meier. Der öffnet in der Kurve von Eiterbach die Tür und lässt sich herausfallen, um davonzulaufen. Reifenquietschend stoppt Wirzig den Wagen, springt raus und rennt mit dem Messer hinterher …«
»Klingt gut«, unterbricht Marcel, »beantwortet aber leider immer noch nicht die Frage, mit welchem fahrbaren Untersatz der Herr Meier überhaupt bis auf die Kehr gekommen ist. Auch nicht die, wie er mit der Pia abhauen wollte, wenn er das denn vorhatte, oder weshalb der Wirzig den Mann umbringt, der ihm einen Haufen Geld schuldet«, sagt Marcel leise.
Elegant übersteigt er vor dem Kampfmittelräumdienst eine Frostfurche im Pflaster. Ich bleibe prompt mit einem Fuß darin hängen und bringe uns aus der harmonischen Balance.
»Entschuldigung«, sagt Marcel.
Ich mache den Mund auf. Will eine jener sarkastischen Bemerkungen hinausschleudern, die der allzeit kampfbereiten Katja vor Kurzem nur so zugeflogen sind. Schließlich ist meine Unachtsamkeit an unserem spaziergängerischen Auseinanderbrechen schuld. Doch seit der letzten Nacht, nach diesem Schub, weiß ich, dass ich gegen Eifeler Windmühlenflügel gekämpft habe, wenn ich glaubte, mich seiner Ironie erwehren zu müssen. Er will mich gar nicht in die Enge treiben. Meinen Kurzkrimi hat er soeben nicht belustigt ins Reich der Fabel verwiesen. Er hat ihn mit seiner letzten Frage nur höflich zunichtegemacht.
Ich nehme ihm seine Entschuldigung ab. Er bittet mich nicht höhnisch um Verzeihung. Es tut ihm leid, mich nicht um dieses Schlagloch herumgeleitet zu haben. Er ist, wie immer, einfach geradeaus gegangen. Sollte ich künftig auch tun. Und dabei die Füße mehr anheben.
Wir stellen weitere Mutmaßungen an, bis wir vor dem Gnadenhof stehen. Eine Strategie für unser dortiges Vorgehen tüfteln wir nicht aus. Das hält Marcel auch nicht für erforderlich, da sowieso immer alles anders komme als erwartet. Wichtiger sei, sagt er, sich auf eine unerwartete Lage einstellen und daraus Profit ziehen zu können.
»Leute, die alles planen, Polizisten, die jedes
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