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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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anständige Frau war, die Witwe eines Generalpächters, der auf dem Schafott geendet hatte, die, vollständig ruiniert, mit einigen Louisdor sich dem aussichtsreichen Gewerbe einer Zimmermieterin zugewendet hatte. Sie hat seitdem sieben Häuser im Viertel Saint-Roch innegehabt und ein Vermögen erworben. – ›Der Bürger Mongenod ist nicht anwesend,‹ sagte mir die Dame, ›aber es sind Leute bei ihm oben‹. Diese Äußerung erregte meine Neugierde. Ich stieg in das fünfte Stockwerk hinauf. Eine reizende Person öffnete mir die Tür ... Oh, eine junge Person von wunderbarster Schönheit, die ziemlich argwöhnisch auf der Schwelle der halb geöffneten Tür verharrte. ›Ich bin Alain, Mongenods Freund,‹ sagte ich. Sogleich öffnet sich die Tür völlig, und ich trete in eine abscheuliche Bodenkammer ein, die aber trotzdem von der jungen Person sehr sauber gehalten war. Sie schiebt mir einen Stuhl vor einen Kamin voller Asche, aber ohne Feuer, in dessen Winkel ich eine gewöhnliche irdene Wärmpfanne erblicke. Es war eisig kalt. ›Ich bin sehr glücklich, mein Herr‹, sagte sie, ergriff meine Hand und drückte sie liebevoll, ›daß ich Ihnen meine Dankbarkeit bezeugen kann, denn Sie sind unser Retter. Ohne Sie hätte ich Mongenod vielleicht nie wiedergesehen ... Er hätte sich ... ach!... ins Wasser gestürzt. Er war in Verzweiflung, als er Sie aufsuchen ging ...‹ Als ich die junge Person genauer betrachtete, war ich ziemlich erstaunt darüber, daß sie rings um den Kopf einen Schal trug und daß am Hinterkopf und an den Schläfen ein dunkler Schatten erschien; als ich näher hinsah, entdeckte ich, daß ihr Haupt geschoren war. ›Sind Sie leidend?‹ fragte ich mit Bezug auf dieses seltsame Aussehen. ›Jawohl‹ bemerkte sie hastig, ›ich hatte furchtbare Kopfschmerzen, und war genötigt, mein schönes Haar, das mir bis auf die Hacken reichte, abzuschneiden.‹ ›Habe ich die Ehre, mit Frau Mongenod zu sprechen?‹ fragte ich. ›Jawohl, mein Herr‹, erwiderte sie und warf mir einen wahren Engelsblick zu. Ich empfahl mich der armen kleinen Frau und ging hinunter, um die Hauswirtin auszuforschen, aber diese war weggegangen. Ich hatte den Eindruck, daß die junge Frau ihr Haar hatte verkaufen müssen, um Brot anzuschaffen. Stehenden Fußes ging ich zu einem Holzhändler und schickte ihr eine halbe Klafter Holz, wobei ich den Träger und die Holzschneider bat, der kleinen Frau eine quittierte, auf den Namen des Bürgers Mongenod ausgestellte Quittung zu übergeben. –
    Hier endet die Periode dessen, was ich lange Zeit hindurch ›meine‹ Dummheit genannt habe«, sagte der gute Alain, faltete die Hände und erhob sie ein wenig, als wollte er mit dieser Bewegung seine Reue ausdrücken.
    Gottfried konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, aber dieses Lächeln beruhte, wie man sehen wird, auf einem großen Irrtum.
    »Zwei Tage darauf«, fuhr der gute Alte fort, »begegnete ich einer von den Personen, die Einem weder befreundet noch gleichgültig sind, zu denen man entfernte Beziehungen hat, die man eben ›eine Bekanntschaft‹ nennt, einen Herrn Barillaud, der sich bei der zufälligen Erwähnung der ›Peruaner‹ als Freund des Autors bezeichnete. ›Du kennst den Bürger Mongenod?‹ sagte ich.
    »Damals waren wir alle verpflichtet, uns zu duzen «, bemerkte Alain in Parenthese.
    »Dieser Bürger sah mich an«, nahm Alain seine Erzählung wieder auf, »und rief: ›Ich wollte, ich hätte ihn nie gekannt, denn er hat wiederholt Geld von mir entliehen und bezeigt mir Freundschaft genug, um es mir nicht wiederzugeben. Das ist ein merkwürdiger Kerl, ein guter Junge, aber voller Illusionen!... Oh, er besitzt eine glühende Einbildungskraft. Ich will ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: er hat nicht die Absicht, zu betrügen; aber da er sich selbst über alles täuscht, kommt er schließlich dazu, sich wie ein Betrüger aufzuführen.‹ ›Aber wieviel schuldet er dir denn? ›Ach, etliche hundert Taler ... Er ist ein Verschwender. Niemand weiß, wo sein Geld hinkommt, vielleicht weiß er es selbst nicht.‹ ›Besitzt er Hilfsquellen? ›Oh ja‹, sagte Barillaud lachend. ›Augenblicklich spricht er davon, daß er Ländereien bei den Wilden in den Vereinigten Staaten kaufen will.‹ Ich trug diesen Tropfen Essig, den die üble Nachrede mir eingeträufelt hatte, mit mir fort und ließ alle meine guten Vorsätze davon anfressen. Ich suchte meinen alten Chef auf, um seinen Rat einzuholen. Kaum hatte ich ihm

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