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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Sie meine Freundschaft eingebüßt haben, dann werden Sie mich jetzt wie einen Fremden behandeln, das heißt mit Höflichkeit, und mir mitteilen, ob Sie in der Lage sind, Ihren Wechsel einzulösen. Ich werde mich entsprechend Ihrer Antwort hierauf verhalten. Ihr ergebener Alain.‹ – Keine Antwort. Wir schrieben damals 1799; in zwei Monaten wäre bereits ein Jahr verflossen gewesen. Am Verfalltage suchte ich Bordin auf. Bordin nahm den Wechsel an sich, ließ ihn protestieren und einklagen. Die unglücklichen Feldzüge der französischen Armeen hatten die Kurse derart herabgedrückt, daß man die Fünffrankenrente für sieben Franken kaufen konnte. Für die hundert Louisdor in Gold hätte ich also fast fünfzehnhundert Franken Rente haben können. Alle Morgen, wenn ich meinen Kaffee trank, sagte ich beim Lesen der Zeitung: ›Verdammter Mongenod! Ohne ihn hätte ich jetzt tausend Taler Rente gehabt!‹ Mongenod war mein Sündenbock geworden, ich wetterte gegen ihn, wenn ich durch die Straßen ging. – ›Bordin ist ja da,‹ sagte ich mir, ›er wird ihn schon fassen, und das geschieht ihm recht!‹ Mein Haß entlud sich in Verwünschungen, ich verfluchte diesen Menschen und dichtete ihm alle Laster an. Oh, Herr Berillaud hatte ganz recht mit allem, was er mir über ihn gesagt hatte. Endlich eines Morgens sehe ich meinen Schuldner hereintreten, nicht verlegener, als wenn er mir keinen Centime geschuldet hätte; als ich ihn so sah, empfand ich all die Scham, die er hätte fühlen müssen. Ich war wie ein auf frischer Tat ertappter Verbrecher. Mir war übel zumute. Der 18. Brumaire war gewesen, alles ging vortrefflich, die Staatspapiere stiegen. Bonaparte war abgereist, um die Schlacht von Marengo zu schlagen. – ›Es ist bedauerlich, mein Herr,‹ sagte ich zu Mongenod, den ich stehend empfing, ›daß ich Ihren Besuch nur dem Drängen des Gerichtsvollziehers zu verdanken habe.‹ Mongenod nahm einen Stuhl und setzte sich. ›Ich komme, um dir mitzuteilen,‹ antwortete er, ›daß ich außerstande bin, dich zu bezahlen.‹ ›Sie haben es mir unmöglich gemacht, mein Geld vor der Rückkehr des Ersten Konsuls anzulegen, zu einer Zeit, wo ich mir damit ein kleines Vermögen geschaffen hätte...,‹ ›Das weiß ich, Alain,‹ sagte er, ›das weiß ich. Aber was hat es für einen Zweck, mich zu verklagen und mich durch die mir auferlegten Kosten noch mehr mit Schulden zu belasten? Ich habe Nachrichten von meinem Schwiegervater und meiner Frau erhalten, sie haben Grundstücke gekauft und mir ein Verzeichnis der für ihre Einrichtung notwendigen Sachen geschickt; ich habe alle meine Mittel für diese Anschaffungen verwenden müssen. Jetzt werde ich, ohne daß mich jemand daran hindern kann, auf einem holländischen Schiff in Vlissingen, wohin ich alle meine geringe Habe gesandt habe, abfahren. Bonaparte hat die Schlacht bei Marengo gewonnen, der Frieden wird unterzeichnet werden, ich kann ohne Besorgnis mich mit meiner Familie vereinigen, denn meine teure kleine Frau war bei ihrer Abreise schwanger.‹ ›Sie haben mich also Ihren Interessen geopfert? ...‹ sagte ich. ›Jawohl,‹ erwiderte er, ›denn ich habe geglaubt, Sie seien mein Freund.‹ In diesem Moment fühlte ich mich niedriger als Mongenod, so erhaben erschien er mir, als er dieses einfache und doch so bedeutungsvolle Wort sprach. ›Habe ich das Ihnen nicht gesagt?‹ fuhr er fort. ›War ich nicht voller Offenherzigkeit gegen Sie, hier, an dieser selben Stelle? Ich war zu Ihnen gekommen, Alain, als zu dem einzigen Menschen, der mich verstehen konnte. Fünfzig Louisdor, habe ich gesagt, würden verloren sein; aber hundert würde ich Ihnen zurückgeben. Ich habe keinen Termin dafür genannt; konnte ich den Tag wissen, an dem mein langer Kampf mit dem Unglück enden würde? Sie waren mein letzter Freund. Alle meine andern Freunde, selbst unser alter Chef Bordin, verachteten mich, weil ich Geld von ihnen entliehen hatte. Oh, Sie kennen das furchtbare Gefühl nicht, Alain, das dem ehrenhaften Manne, der mit dem Unglück kämpft, das Herz zusammenpreßt, wenn er zu jemandem um Hilfe bitten kommt!... und alles, was sich daraus ergibt! Ich wünsche Ihnen, daß Sie es niemals kennenlernen mögen, es ist schauerlicher als die Todesangst. Sie haben mir Briefe geschrieben, die von meiner Seite in der gleichen Lage Ihnen sehr gehässig erschienen wären. Sie haben von mir Dinge erwartet, die für mich außerhalb jeder Möglichkeit lagen. Sie sind der einzige, vor

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