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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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dem Glauben, in einer Weise, die der Strafbarkeit nicht unterliegt, bestohlen worden zu sein, entzog ich Mongenod meine Achtung und tröstete mich recht philosophisch.
    Wenn ich solches Gewicht auf diese so gewöhnlichen und anscheinend so unerheblichen Einzelheiten lege, so geschieht das nicht ohne Absicht,« fuhr der Biedermann fort und sah Gottfried an; »ich versuche, Ihnen zu erklären, weshalb ich dazu veranlaßt wurde, so wie die Mehrzahl der Menschen zu handeln, auf gut Glück und unter Verachtung der Grundsätze, die selbst die Wilden bei den unbedeutendsten Dingen beobachten. Viele Leute würden sich damit rechtfertigen, daß sie sich auf einen würdigen Mann wie Bordin berufen; aber heute finde ich keine Entschuldigung dafür. Wenn es sich darum handelt, einen unseresgleichen zu verdammen und ihm für immer unsere Achtung zu entziehen, darf man sich nur auf sich selbst berufen,, und auch das kaum!... Dürfen wir aus unserm Herzen ein Tribunal machen, vor das wir unsern Nächsten laden? Auf Grund welchen Gesetzes? Und nach welchem Bewertungsmaßstab? Was bei uns Schwäche ist, ist das nicht Stärke bei unseren Nachbarn? So viele Wesen, so viele verschiedene Maßstäbe für jede Tatsache, denn es gibt nicht zwei gleiche Geschehnisse innerhalb der Menschheit. Die Gesellschaft allein hat das Recht der Unterdrückung gegenüber ihren Gliedern; denn das Recht zur Bestrafung bestreite ich ihr: Unterdrücken genügt, und auch das bringt noch Grausamkeit genug mit sich. Als ich diese Ansichten eines Pariser Kindes hörte und dabei die Klugheit meines früheren Chefs bewunderte, verurteilte ich also Mongenod«, fuhr Alain in seiner Geschichte fort, nachdem er seine edlen Folgerungen daraus gezogen hatte. »Man kündigte die Aufführung der ›Peruaner‹ an. Ich erwartete, von Mongenod eine Eintrittskarte für die erste Vorstellung zu erhalten; ich maßte mir eine Art von Oberherrlichkeit über ihn an. Mein Freund erschien mir, weil er Geld von mir geliehen hatte, wie eine Art von Vasall, der mir eine Menge von Dingen schuldete, abgesehen von den Zinsen meines Geldes. So pflegen wir zu handeln! Mongenod sandte mir nun nicht nur keine Eintrittskarte, sondern ich sah ihn auch von weitem in der dunklen Passage unter dem Theater Feydeau, gut, beinahe elegant gekleidet; er tat, als ob er mich nicht bemerkt hätte; dann, als er mich überholt hatte, und ich ihm nacheilen wollte, war mein Schuldner in einer Querpassage verschwunden. Dieser Umstand ärgerte mich sehr. Und mein Ärger wurde, fern davon, zu verschwinden, mit der Zeit noch größer, und zwar deshalb: Einige Tage nach dieser Begegnung schrieb ich an Mongenod etwa folgende Zeilen: ›Lieber Freund, Sie dürfen nicht annehmen, daß alles Gute und Schlimme, was Ihnen passiert, mir gleichgültig ist. Sind Sie mit dem Erfolg der ›Peruaner‹ zufrieden? Sie haben mich, was Ihr Recht war, bei der ersten Vorstellung, wo ich lebhaft geklatscht haben würde, vergessen. Wie dem auch sei, ich wünsche, daß Sie ein Peru finden möchten, denn ich habe jetzt eine Gelegenheit für die Anlage meines Geldes gefunden und rechne auf Sie am Verfalltage. Ihr Freund Alain.‹ Nachdem ich vierzehn Tage ohne eine Antwort hierauf geblieben war, begab ich mich nach der Rue des Moineaux. Die Wirtin teilte mir mit, daß die kleine Frau tatsächlich mit ihrem Vater zu der Zeit, die Mongenod Bordin angegeben hatte, abgereist war. Mongenod verlasse seine Dachkammer früh sehr zeitig und komme erst spät in der Nacht heim. So vergingen weitere vierzehn Tage, dann schrieb ich folgenden neuen Brief an Mongenod: ›Mein lieber Mongenod, ich sehe Sie nicht, und Sie antworten nicht auf meine Briefe; ich verstehe Ihr Verhalten nicht. Was würden Sie von mir denken, wenn ich mich so gegen Sie benähme?‹. Ich unterschrieb nicht mehr: ›Ihr Freund‹, sondern nur: ›Viele Grüsse.‹ Ein Monat verging, ohne daß ich irgendeine Nachricht von Mongenod erhielt. Die ›Peruaner‹ hatten nicht den großen Erfolg gehabt, auf den Mongenod gerechnet hatte. Ich ging auf meine Kosten zur zwanzigsten Aufführung, es war wenig Publikum da. Frau Scio spielte gleichwohl vortrefflich. Im Foyer erzählte man mir, daß das Stück nur noch einige Male gegeben werden würde. Siebenmal zu verschiedenen Zeiten ging ich zu Mongenod, ohne ihn anzutreffen, und jedesmal hinterließ ich meinen Namen bei seiner Wirtin. Dann schrieb ich ihm: ›Mein Herr, wenn Sie nicht auch noch meine Achtung einbüßen wollen, nachdem

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