Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches
hinein). Und dabei blieb es Jahr um Jahr: Der Kritiker kritisierte, die Theaterdirektoren zitterten, und die Dramatiker veröffentlichten von Zeit zu Zeit unter Decknamen oder in Form von Leserbriefen wilde Angriffe auf Kunstetter, die nur zu seinem Ruhm und Ansehen beitrugen. Eines Abends jedoch geschah es.
Kunstetter saß beim Abendessen und griff, Gourmet, der er war, nach einem Stück frischer Leberwurst, einem Erzeugnis der Firma »Leberwurst & Sohn GmbH«. Kaum hatte er den ersten Bissen verkostet, spuckte er ihn auch schon in weitem Bogen aus und wandte sich an Frau Kunstetter, seine Gattin:
»Das soll Leberwurst sein? Das ist getrockneter Dünger! Darüber werde ich schreiben. Ich werde so darüber schreiben, daß die Firma Leberwurst & Sohn GmbH bis ans Ende ihrer Tage daran denkt!«
Kunstetter, ein Mann der raschen Entschlüsse, nahm unverzüglich an seinem Schreibtisch Platz und verfaßte unter dem Titel »Ein Skandal, der zum Himmel stinkt« die folgende Glosse (wobei er sorgfältig darauf Bedacht nahm, keine allzu kräftigen Ausdrücke zu gebrauchen): »Seit einiger Zeit würgt die wehrlose Bevölkerung unseres
Landes an einem widerwärtigen Nahrungsmittel, das seine Hersteller in betrügerischer Absicht als >Leberwurst< bezeichnen. Nur skrupellose Verbrecher, die den letzten Rest ihrer Menschenwürde durch wilde Geldgier ersetzt haben, vermögen ein derart ekelerregendes Abfallprodukt auf den Markt zu werfen. Wir sind sicher, daß die Konsumenten unseres Landes, deren guter Geschmack sprichwörtlich ist, dieses unverdauliche Zeug boykottieren und es ohne jeden Umweg in den Mülleimer befördern werden. Pfui, pfui und abermals pfui!«
Kunstetter rief einen Botenjungen und schickte seine Leberwurst-Kritik an die Redaktion, wo sie automatisch zum Druck befördert wurde und am nächsten Tag erschien. Üblicherweise wäre die Sache damit erledigt gewesen. Diesmal aber kam es anders. Leberwurst & Sohn GmbH verklagte den überraschten Kritiker, die Presse spielte den Fall hoch, und der LeberwurstProzeß machte Schlagzeilen. Alsbald bildeten sich zwei Lager: die einen verteidigten Kunstetters Recht, die Leberwurst, sofern er sie schlecht fand, zu verreißen, schließlich herrscht ja in unserem Land noch Pressefreiheit, und jeder kann für sich entscheiden, ob er an das Urteil des Kritikers glauben will oder nicht... Auf der anderen Seite standen jene, denen die von Kunstetter verrissene Leberwurst ausgezeichnet geschmeckt hatte. Es gab noch eine dritte, kleinere Gruppe, die mit Kun-stetter grundsätzlich übereinstimmte, den Tonfall seiner Kritik jedoch zu lau fand.
Kunstetter selbst hielt über das plötzlich aktuell gewordene Thema einen Vortrag in der Künstler-Vereinigung:
»Diese Leberwurst«, rief er in den Saal, »ist eine Infamie. Sie stinkt. Sie hat keinen Nährwert. Sie ist verdorben und verrottet. Sie ist ein Skandal. Sie ist überhaupt keine Leberwurst!«
Nach Beendigung des Vertrags wurde Kunstetter unter dem Schutz dreier Privatdetektive nach Hause gebracht, da man Anschläge auf sein Leben befürchtete. Eintrittskarten zu seinem Prozeß wurden im Schleichhandel zu Überpreisen verkauft. Als das Verhör begann, herrschte im Gerichtssaal atemlose Stille.
RICHTER: »Herr Kunstetter, bekennen Sie sich schuldig?«
KUNSTETTER: »Nein. Im Gegenteil, ich bedaure, keine stärkeren Ausdrücke gebraucht zu haben, um dieses ungenießbare...« (Die nun folgenden Ausdrücke wurden aus dem Protokoll gestrichen.)
RICHTER: »Warum haben Sie Ihre gegen die Leberwurst gerichtete Kritik veröffentlicht?«
KUNSTETTER: »Weil ich meiner Meinung Ausdruck verleihen wollte.«
RICHTER: »Betrachten Sie sich als Fachmann?«
KUNSTETTER: »Jawohl. Ich esse seit zwanzig Jahren regelmäßig Leberwurst.«
RICHTER: »Sind Sie mit dem Herstellungsprozeß vertraut?«
KUNSTETTER: »Wie kommt das zu dem? Der Herstellungsprozeß kann einwandfrei sein, und das Produkt ist trotzdem - wenn Euer Ehren den Ausdruck gestatten -« (Der Ausdruck wurde aus dem Protokoll gestrichen.)
RICHTER: »Hätten Sie über die Leberwurst auch geschrieben, wenn sie Ihnen geschmeckt hätte?«
KUNSTETTER: »Warum sollte ich über eine normale Leberwurst schreiben?«
An dieser Stelle richtete der Anwalt der Firma Leberwurst & Sohn GmbH an den Beklagten die Frage, ob er vor dem Verriß der Leberwurst Erkundigungen bei anderen Konsumenten eingezogen hätte. Nach der überheblich verneinenden Antwort beschloß das Gericht die Einvernahme
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