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Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches

Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches

Titel: Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Charakter des ganzen Menschen kennen, den man darstellen will. Seine Träume, seine Enttäuschungen, seine Mentalität. Man muß sogar wissen, ob er an Schlaflosigkeit leidet oder nicht. Man muß eins werden mit der Rolle, muß mit ihr verschmelzen, lieber Freund. Wenn Sie das nicht können, werden Sie nie ein Schauspieler.< Nach diesen Worten Stanislawskis habe ich mich mein Leben lang gerichtet. Und als ich die Rolle des gutgekleideten Herrn im >Verblühten Nußbaum< übernahm, begann ich sie sofort zu analysieren. Was ist's mit Ihnen, Sie gutgekleideter Herr? fragte ich. Wer sind Sie. Woher kommen Sie? Wohin gehen Sie?«
    »Zu Salzmann«, antwortete ich hastig. »Wenn ich ihn jetzt verfehle, muß ich wieder zwei Wochen -«
    »Vielleicht ist dieser gutgekleidete Herr innerlich weniger vornehm als außen. Vielleicht ist er robust, vielleicht ein Invalide, vielleicht ein Verbrecher. Langsam, langsam begann er vor meinem geistigen Auge Gestalt anzunehmen. Ich gestehe, daß ich nahezu eine Woche völlig im dunkeln tappte. Aber eines schönen Mittags erwachte ich, setzte mich im Bett auf und hörte mich ausrufen: Er ist klein und gedrungen! Er muß klein und gedrungen sein, es geht gar nicht anders. Er ist mindestens einen Kopf kleiner als ich. Jetzt wollen Sie wahrscheinlich wissen, wie ich das machen werde? Nun, Stanislawski sagte mir einmal: >Nicht jeder Versteller ist ein Schauspieler, aber jeder Schauspieler ist ein Versteller.< Begreifen Sie? Wenn ich will, kann ich auf der Bühne wie ein Zwerg wirken, und wenn ich will, wie eine chinesische Porzellanfigur. Außerdem trägt er einen Zwicker. Das war bei den gutgekleideten Herren jener Zeit üblich. Er ist weitsichtig. Nicht sehr, höchstens zwei oder drei Dioptrien — aber er braucht den Zwicker zum Sehen. Schließlich ist er nicht mehr der Jüngste. Das Haar an seinen Schläfen ist grau meliert. Vielleicht spiele ich auch eine kleine Andeutung von Ischias. Ganz diskret, ich chargiere nicht gern. Und eine Spur Rouge Nr. 3 auf der Nase. Man kennt ja den Typ. Er ist mir unlängst leibhaftig begegnet, im Autobus-Bahnhof. Das ist er! sagte ich mir sofort. Das ist mein gutgekleideter Herr! Und ich folgte ihm in den Bus, ich fuhr mit ihm bis nach Haifa, ich ließ kein Auge von ihm, ich saugte seine Persönlichkeit förmlich in mich auf. Glauben Sie, daß er wohlhabend ist?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich komme nur selten nach Haifa.«
    »Nein, mein Lieber, er ist nicht wohlhabend! Das überrascht Sie, was? Er ist mit irdischen Gütern keineswegs gesegnet, sage ich Ihnen. Seine gutgekleidete Erscheinung ist eitel Schaumschlägerei. Vielleicht bewohnt er eine Zweieinhalbzimmerwohnung, vielleicht hat er sogar einen Ventilator - aber das ist alles. Und er weiß es. Er weiß es!«
    »Meister, jetzt muß ich aber -«
    »Selbstverständlich. Jetzt müssen Sie wissen, warum er Katharina Nikolajewna nach dem Zug fragt. Ja glauben Sie denn wirklich, daß dieser läppische Zug ihn interessiert? Keine Spur. Er muß ganz einfach etwas fragen, muß mit irgendeinem Menschen in diesem Augenblick über irgend etwas reden, sonst wird er verrückt. Das ist es. Hier reiße ich ihm die Maske vom Gesicht und zeige den Gram, der ihn durchfurcht, das ewige Leiden, die große Einsamkeit. Wie lange erträgt ein Mensch diese Einsamkeit auf einer Bahnstation?«
    »Bis zwölf -«
    Drei oder vier Monate zuvor hat er sich scheiden lassen. Seither ist er ein gebrochener Mann. Nicht nach außen hin, o nein. Da läßt er sich nichts anmerken. Innerlich. Eine Saite seiner Seele ist gerissen. Er hat dieses Weib angebetet - ach, nicht wegen ihrer Schönheit, so schön war sie gar nicht, aber sie war eine Frau. Eine echte, heißblütige Frau. Und als er an jenem schicksalsschweren Abend aus der Botschaft nach Hause kam... «
    »Um Himmels willen, das alles ist in der Rolle drin?«
    »... hörte er Stimmen aus dem blauen Salon. Er schlich auf Zehenspitzen näher und sah Margaret in Stanislawskis Armen. Wie vom Schlag gerührt stand er da, unfähig, einen Laut hervorzubringen. Sein ganzes Leben zog blitzartig an ihm vorüber. Sein Heimatdorf, der alte Friedhof, der Schmied, der bucklige Schneider -«
    »Salzmann -«
    »Salzmann, der Schuster, seine erste Liebe, die Müllerstochter, die Überschwemmung... Dann wandte er sich ab und ging davon, auf Zehenspitzen, wie er gekommen war. Vierzehn Tage später wurde die Ehe geschieden. Der kleine Wladimir blieb bei der Mutter. Er wuchs als komplexbeladenes Kind

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