Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches
verstehe. Vielen Dank.« (Er streicht den Satz in seinem Rollenheft durch.)
Und wie spielt sich das ab, wenn diese entscheidende Zeile einem etwas wichtigeren Schauspieler weggenommen wird?
REGISSEUR: »Hör zu, Schmulik. Du hast hier einen sehr wirkungsvollen Auftritt. Er wäre vielleicht noch wirkungsvoller, wenn wir deine Frage, wann der Zug nach St. Petersburg geht, weglassen. Was hältst du davon?«
DER ETWAS WICHTIGERE SCHAUSPIELER: »Warum nicht. Geht auch. So etwas ist für mich kein Problem. Ich gehöre noch zur alten Garde, und wenn der Regisseur aus dem Text von Schmul Guttermann einen Satz streichen will, dann streicht Schmul Guttermann den Satz, ohne auch nur eine Silbe darüber zu verlieren. Im vorliegenden Fall habe ich allerdings den Eindruck, daß es vom rein gefühlsmäßigen Standpunkt besser wäre, wenn der Satz nicht gänzlich wegfällt. Vielleicht sollte ich einfach sagen: Nach Petersburg, wie, Madame?«
REGISSEUR: »Meinetwegen. Sag in Gottes Namen: Petersburg, wie? Aber leise.«
DER ETWAS WICHTIGERE SCHAUSPIELER: »Wie du willst.« (Er sagt es laut.)
Und jetzt zum Star des Ensembles.
REGISSEUR: »Bitte einen Augenblick! Meine Damen und Herren, Sie müssen verzeihen, daß ich die Probe an einer so packenden Stelle unterbreche, aber mir ist soeben etwas sehr Sonderbares geschehen. Als Herr Bulitzer den Satz sprach: Entschuldigen Sie, Madame, wann geht der Zug nach St. Petersburg? - Als er diese Worte sprach, wurde mir heiß und kalt vor Aufregung, so heiß und kalt, daß ich mich kaum noch konzentrieren konnte. Einem alten Hasen wie mir passiert so etwas nur sehr selten, und es ist kein Wunder, daß es mir gerade bei Herrn Bulitzer passiert. Wer sollte derart gewaltige Wirkungen hervorrufen können, wenn nicht ein Bulitzer. Das muß man gar nicht ausdrücklich betonen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, habe ich den Eindruck, daß der Ablauf dieser Handlungsphase eine solche Erschütterung nicht verträgt. Daß das Publikum ihr einfach nicht gewachsen wäre. Natürlich kommt es mir nicht zu, einem Eleasar G. Bulitzer vorzuschreiben, was er sagen und was er nicht sagen soll. Ich äußere hier nur meine ganz unmaßgebliche, persönliche, aus einer tiefen Emotion herrührende Ansicht. Die Entscheidung hat selbstverständlich Herr Bulitzer zu treffen. Wie denken Sie darüber, lieber Bulitzer? Scheint es Ihnen nicht auch, daß Ihr Auftritt an Wirkung womöglich noch gewinnen würde, wenn man ihn ganz auf Ihre Persönlichkeit abstellt und ihn durch keinen Text verwässert? Sollte dieser kleine Satz nicht besser wegfallen?«
DER STAR: »Nein.«
REGISSEUR: »Der Satz bleibt. Bitte weiter.«
Shakespeare
Da der Text in den meisten Fällen von einem Autor stammt, kann dieser nicht völlig ignoriert werden. Während der Proben allerdings ist der Autor ungefähr so wichtig wie der Gatte während der Entbindung. Er macht auch eine annähernd gleiche Figur.
Es muß hier endlich einmal mit aller Klarheit gesagt sein, daß der Autor ein Schmarotzer ist, dessen Hauptbeschäftigung darin besteht, die Proben zu stören. Er lümmelt in einer der hinteren Reihen, stürzt von Zeit zu Zeit auf den Regisseur zu, um mit schriller Stimme auf ihn einzusprechen, und hetzt in den Probenpausen die weiblichen Ensemblemitglieder gegen den Direktor auf, von dem er behauptet, daß er homosexuell sei.
Nehmen wir zum Beispiel einen Dramatiker, der die besten Beziehungen zu den Theaterkritikern unterhält: William Shakespeare. Kein Zweifel, daß er etwas für das Theater geleistet hat. Statistischen Berechnungen zufolge wurden in Shakespeares Dramen mehr Aristokraten liquidiert als in der ganzen Französischen Revolution. Er hat aus Romeo und Julia ein Ehepaar gemacht und war taktvoll genug, ihnen den Weg zum Scheidungsanwalt zu ersparen, indem er sie letal abgehen ließ. (Ich frage mich übrigens, warum der traditionelle Vorrang des weiblichen Geschlechts, wie er etwa in der Anrede »Meine Damen und Herren« seit jeher festgelegt ist, in den Titeln von Theaterstücken so völlig mißachtet wird. Warum es nicht »Julia und Romeo«, »Isolde und Tristan«, »Sympathie und Tee« heißt?) Davon abgesehen, hat Shakespeare lange vor Marx die Grundsätze der proletarischen Diktatur ausgearbeitet, und zwar unter dem Titel »Richard III«.
Und trotz all dieser unvergleichlichen Leistungen ist es nicht einmal sicher, ob der große William wirklich gelebt hat. Wir besitzen keinen einzigen zuverlässigen Beweis
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