Kein Applaus Für Podmanitzki - Satirisches
seinen breiten slawischen Backenknochen. Und dabei stand für die nächste Zeit gar keine Premiere bevor.
»Sie scheinen sich nicht besonders wohl zu fühlen«, sagte ich. »Ich möchte nicht stören.«
»Setzen Sie sich und trinken Sie. Wenn Sie mir versprechen, nichts darüber zu schreiben, erzähle ich Ihnen, was geschehen ist.«
»Leider kann ich für eine Veröffentlichung nicht garantieren.«
»Mundek.«
»Wie bitte?«
»Mundek. Der Mann bringt mich um.«
»Wer ist Mundek?«
»Sie wissen nicht, wer Mundek ist? Wo leben Sie, Herr? Mundek ist der älteste Kulissenschieber an unserem Theater. Und wenn ich demnächst abkratze, wird die Welt ihn und niemanden sonst für meinen Tod verantwortlich zu machen haben.«
»Was halten Sie von der letzten Rede Reagans?«
»Ein kolossaler Kerl, berstend vor Energie und vollkommen zahnlos. Ich weiß nicht, wie er in dieses Theater gekommen ist. Er sagt, er hat es gegründet. Mißverstehen Sie mich nicht. Ich bin kein Reaktionär. Im Gegenteil, die Arbeiterklasse hat an mir seit jeher einen Freund gehabt. Aber wenn ich an Mundek denke, sehne ich mich manchmal nach den guten alten
Feudalzeiten zurück. Das ganze Land liegt mir zu Füßen - das wissen Sie ja -, man jubelt mir zu, wo immer ich erscheine -und dieser Mundek behandelt mich wie irgendeinen Komparsen. Nur ein Beispiel. In einer der letzten Vorstellungen von >Richard II.< beginne ich meinen berühmten Monolog im fünften Akt - spreche Shakespeares unsterbliche Verse, wie nur ich sie sprechen kann - >Ich habe nachgedacht, wie ich der Welt/ Den Kerker, wo ich lebe, mag vergleichen< - das Publikum hängt an meinen Lippen - und plötzlich, neben mir in der Kulisse und mitten in die atemlose Stille hinein, schneuzt dieser Mundek dröhnend seine Nase und sagt zu ein paar Bühnenarbeitern: >Kinder, efscher mir wellen schpilen a bissele Kurten?< Auf jiddisch sagt er das, denn eine andere Sprache kann er nicht, und sagt es so laut, daß man es bis in die letzte Parkettreihe hört. Und während ich, Jarden Podmanitzki, heute wahrscheinlich der bedeutendste Shakespearedarsteller des Landes, den überirdischen Monolog Richards II. spreche, sehe ich in der Kulisse Herrn Mundek und die anderen Herren Kulissenschieber Karten spielen, als ob ihnen die Welt gehörte. Jetzt frage ich Sie: Was hätten Sie an meiner Stelle getan ?«
»Ich hätte sie gebeten aufzuhören.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Manchmal reden Sie daher wie ein Kretin oder ein Kritiker. Glauben Sie denn, man könnte diesen Leuten mit Vernunft beikommen? Nehmen Sie Mundek, zum Beispiel. Wieder in einem anderen Stück. Jeden Abend bringt er ein halbes Kilo Käse, einen Laib Brot und zwei große Rettiche mit - und pünktlich im zweiten Akt, während meiner großen Liebesszene, beginnt er zu fressen. Ich soll eine Prinzessin verführen, ich soll ihr kniend den Schlüssel zu meiner Geheimtruhe überreichen - und kaum knie ich mich hin, beißt Mundek in den Rettich, daß es kracht. Was sage ich: kracht. Es dröhnt. Vom Geruch ganz zu schweigen. Wie oft habe ich ihn schon angefleht: >Mundek, ich beschwöre Sie, fressen Sie Ihren Rettich etwas später oder meinetwegen früher, aber doch nicht gerade während meiner Liebesszene !< Und was sagt Mundek? Es täte ihm leid, sagt er, aber er pflege sein Nachtmahl seit vierzig Jahren regelmäßig um 9 Uhr einzunehmen, und wenn uns das nicht recht wäre, dann müßten wir eben die Liebesszene verlegen. >Sie halten also Ihren Rettich für wichtiger als meine Liebesszene?< frage ich ihn. Und darauf antwortet Mundek schlicht und einfach: >Ja.< Nichts weiter. Oder die Art, wie er über die Bühne geht. Ein Elefant, sage ich Ihnen. Die Bretter knarren, die Kulissen schwanken, die Versatzstücke wackeln. Eines Tages konnte ich es nicht länger ertragen. >Trampeln Sie während der Vorstellung nicht herum!< brülle ich ihn an. Daraufhin erkühnt sich Mundek zu der Bemerkung, daß ich ihm nichts zu befehlen hätte. Das war zuviel für mich. Ich begann zu toben. >Sie Wurm! Sie Niemand! Wer ist hier der Star, Sie oder ich?< Mundek zuckt die Achseln. >Was verdienen Sie?< fragt er. >Hundertfünfundvierzig vor Abzug der Steuer<, antworte ich, weil ich mich schäme, die wahre Summe zu nennen. >Sehen Sie<, sagt Mundek. >Ich habe dreihundertfünfundzwanzig. Ohne Überstunden. Nu?< Er wird für Überstunden bezahlt. Ich nicht. Als ich unseren Direktor Schoßberger einmal fragte, wie es denn möglich sei, daß ein kleiner Arbeiter
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