Kein Biss unter dieser Nummer
Playlist, das erneute Lesen eines Anatomietextes oder den Bau weiterer Regale für meinen Schrank (ich liebe die Villa, aber der beklagenswerte Mangel an Stauraum ist ein echtes Problem). Marc war nicht mehr der Alte, nein. Doch meiner Meinung nach hatte er sich nicht zu seinem Nachteil verändert … er war einfach nur anders.
Manchmal trübten sich seine lebhaften grünen Augen, und man konnte ihn fast denken hören: Komm schon, komm schon, du weißt, wie es geht, erinnere dich daran! Sein Äußeres jedoch war unverändert. Er war immer noch schlaksig und sah süß aus mit seinen brutal kurz geschnittenen schwarzen Haaren und der schmalen Adlernase. Seine Haut war bleich, aber nicht etwa, weil er eine Vorliebe für Gehiiiiirn hatte, sondern weil er Aktivitäten im Freien hasste und unter gleißendem Krankenhausneonlicht aufblühte.
Wenn ich mir meine Freunde neuerdings so anschaute, war ich jedes Mal überrascht, wie sehr sie sich verändert hatten: Jessica, die für siebzehn aß; Marc, der tote Kreaturen aufschnitt, um sein Gehirn fit zu halten. Beide hatten unglaubliche Verwandlungen durchgemacht, nur weil sie meine Freunde waren.
Ob das nun gut war oder nicht, wusste ich nicht und konnte es auch nicht wissen.
Aber bitte, Gott, lass es nicht so sein, wie ich befürchte: Lass mich nicht zum Fluch für diejenigen werden, die ich liebe!
Und wenn wir schon dabei sind, Gott: Bitte sorge dafür, dass meine Schwester mir verzeiht, und schenk uns ein glückliches Ende! Wir haben es verdient, verflucht.
4
Während ich den Mangel an Louboutins in diesem Zeitstrom verfluchte und gleichzeitig Marcs Regalbauer-Fähigkeiten bewunderte, saß ich hüfthoch in einem Berg aus Nubuk-Clogs und den Pumps vom letzten Jahr, als ich das inzwischen beinahe täglich auftretende Geräusch vernahm: Jemand auf der Summit Avenue war direkt vor unserem Haus voll in die Eisen gestiegen. Kreischende Bremsen und das unangenehme Kratzen von Fingernägeln, die sich krampfhaft in ein Lenkrad krallen, lösten unwillkürlich einen Adrenalinschub aus. Eben noch fragt man sich gleichgültig, ob man bei
Burger King
gleichzeitig frühstücken und Mittag essen soll, und im nächsten Moment erleidet man eine Panikattacke, bei der man befürchtet, jede Sekunde zu sterben, wenn man nicht sofort etwas unternimmt.
Selbst vor meinem Tod hatte dieses durchdringende Geräusch Stress bei mir ausgelöst, und in meinem Vampirdasein erging es mir nicht anders. Kreischende Bremsen konnten alles Mögliche bedeuten: ein Untoter, der im Vorüberfahren einen Mordanschlag auf mich verüben will; Cops, die mich zu irgendeinem der Leute befragen wollen, die ich getötet habe; eine Flucht vor einem Killerkommando; die Warnung eines meiner Untertanen vor einer drohenden Steuerprüfung; der Besuch eines anderen meiner Untertanen, der mir vorjammert, warum wir uns nicht alle einfach vertragen können, oder mir klarmachen will, dass ich nicht zur Königin tauge, und dann erstaunt darüber ist, wenn ich ihm zustimme … solche Dinge eben.
Doch dieses Mal hatten die kreischenden Bremsen eine andere Ursache; das wusste ich, ohne den begehbaren Schrank zu verlassen. Neuerdings gab es für dieses Geräusch nämlich nur einen Grund: Eric Sinclair, der König der Vampire, spielte mal wieder auf der Straße.
Aufstöhnend erhob ich mich und verließ den Schrank, allerdings nicht so traurig, wie ich es hätte sein sollen. Die Nubuk-Clogs waren alle gleichermaßen hässlich, und ich besaß sage und schreibe achtunddreißig Paar davon. (Sie fragen sich jetzt vielleicht: Warum in aller Welt hat sie die denn bloß alle gekauft, wenn sie so hässlich sind? Und ich denke mir: Den Kommentar dazu kann man sich sparen.)
Da in diesem Zeitstrom kein Christian Louboutin existierte, gab es meine tollen Schuhe nicht, und es würde sie (leider) auch niemals geben. Mir war es zwar gelungen, meinen Kummer zu lindern und die gähnende Leere in meiner (schwarzen) Seele mit Manolo-Pumps (die Perpeta Silhouettes) und Feldman Flats (die Diamond 4-Ever Red Multi) zu füllen. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass ich mir nicht sehnlichst herbeiwünschte, was ich in einem anderen Zeitstrom einmal besessen hatte. Man konnte einen Geparden und einen Königsadler bewundern und dennoch das Aussterben von … was weiß ich … dem Dodo oder der Wandertaube bedauern (Analogien sind nicht gerade meine Stärke). Ich habe Christian Louboutin aussterben lassen, als ich in die Zeitströme eingegriffen habe, und
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