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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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verlieren. Sie würden sich wundern: Man kann jemand über alles lieben, aber wenn irgendwann der Punkt kommt, an dem man sich zwanzig, dreißig Geburtstage merken muss, vergisst man immer jemand. Diejenigen, die ich abhake, sind die Kinder, die erst nach achtzig zu uns gekommen sind. Audrey wird es nachprüfen, wenn ich fertig bin.«
    »Nein, werde ich nicht.«
    Die Männer ignorierten sie. Boschs Blick wanderte vor Blaylocks Bleistift her die Liste hinunter. Bevor er zum letzten Drittel kam, streckte er die Hand aus und legte den Zeigefinger auf einen Namen.
    »Was können Sie mir über ihn erzählen?«
    Blaylock blickte zu Bosch auf und dann zu seiner Frau hinüber.
    »Wer ist es?«, fragte sie.
    »Johnny Stokes«, sagte Bosch. »Er war neunzehnhundertachtzig bei Ihnen, stimmt’s?«
    Audrey Blaylock sah ihn kurz durchdringend an.
    »Da, siehst du’s?«, sagte sie zu ihrem Mann, während sie weiter unverwandt Bosch ansah. »Er wusste bereits über Johnny Bescheid, als er hier reinkam. Ich hatte Recht. Er ist nicht aufrichtig.«

50
    Bis Don Blaylock in die Küche ging, um eine zweite Kanne Kaffee zu machen, hatte Bosch zwei Seiten voll mit Notizen über Johnny Stokes. Er war im Januar 1980 infolge einer DYS-Anordnung zu den Blaylocks gekommen und im Juli wieder abgeholt worden, als er verhaftet wurde, weil er ein Auto gestohlen und damit eine Spritztour durch Hollywood gemacht hatte. Es war seine zweite Festnahme wegen Autodiebstahls gewesen. Er kam sechs Monate in die Sylmar Juvenile Hall. Als seine Rehabilitationszeit um war, wurde er von einem Richter zu seinen Eltern zurückgeschickt. Obwohl die Blaylocks gelegentlich von ihm gehört und ihn bei seinen seltenen Besuchen in der Gegend sogar gesehen hatten, hatten sich damals noch andere Kinder unter ihrer Obhut befunden, und der Kontakt zu dem Jungen war bald ganz abgerissen.
    Als Blaylock Kaffee machen ging, stellte sich Bosch auf ein unbehagliches Schweigen mit seiner Frau ein. Aber dann sprach sie doch mit ihm.
    »Zwölf unserer Kinder haben einen Collegeabschluss«, sagte sie. »Zwei sind zum Militär gegangen. Einer wie Don zur Feuerwehr. Er arbeitet im Valley.«
    Sie nickte Bosch zu, und er nickte zurück.
    »Wir haben uns nie eingebildet«, fuhr sie fort, »bei unseren Kindern hundertprozentigen Erfolg zu haben. Wir haben bei jedem unser Bestes getan. Manchmal hielten uns die Umstände oder die Gerichte oder die Jugendämter davon ab, einem Kind zu helfen. Einer dieser Fälle war John. Er machte einen Fehler, und es war, als wäre es unsere Schuld gewesen. Er wurde uns weggenommen … bevor wir ihm helfen konnten.«
    Alles, was Bosch tun konnte, war nicken.
    »Anscheinend haben Sie schon von ihm gewusst«, fuhr sie fort. »Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
    »ja. Kurz.«
    »Ist er jetzt im Gefängnis?«
    »Nein, das ist er nicht.«
    »Wie ist sein Leben verlaufen, seit … er bei uns war?«
    Bosch breitete die Arme aus.
    »Nicht so besonders. Drogen, viele Verhaftungen, Gefängnis.«
    Sie nickte traurig.
    »Glauben Sie, er hat den Jungen in unserem Viertel umgebracht? Als er bei uns war?«
    An ihrer Miene konnte Bosch ablesen, dass er, wenn er ihr jetzt wahrheitsgemäß antwortete, alles zum Einsturz brächte, was sie aus dem gebaut hatte, was gut war an dem, was sie getan hatten. Die ganze Wand voller Fotos, die Collegeabschlüsse und die guten Jobs, das alles würde daneben nichts mehr bedeuten.
    »Das weiß ich nicht. Allerdings wissen wir, dass er mit dem ermordeten Jungen befreundet war.«
    Sie schloss die Augen. Nicht fest, nur so, als wollte sie ihnen eine Ruhepause gönnen. Sie sagte nichts mehr, bis Blaylock zurückkam. Er ging an Bosch vorbei und legte ein frisches Holzstück ins Feuer.
    »Kaffee kommt gleich.«
    »Danke«, sagte Bosch.
    Nachdem Blaylock zur Couch zurückgegangen war, stand Bosch auf.
    »Ich habe da Verschiedenes, was ich Ihnen gern zeigen würde, wenn Sie nichts dagegen haben. Die Sachen sind in meinem Auto.«
    Er entschuldigte sich und ging zum Slickback hinaus. Zuerst nahm er seine Aktentasche vom Vordersitz, dann ging er zum Kofferraum, um die Aktenschachtel mit dem Skateboard herauszuholen. Er glaubte, es wäre einen Versuch wert, das Board den Blaylocks zu zeigen.
    Gerade als er den Kofferraum zumachte, trällerte sein Handy wieder, und diesmal ging er dran. Es war Edgar.
    »Harry, wo steckst du?«
    »Oben in Lone Pine.«
    »In Lone Pine! Was machst du denn da, verdammte Scheiße!«
    »Ich habe jetzt keine Zeit zum

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