Kein Kanadier ist auch keine Lösung
Licht sorgte, aber auch für ein hohes Verletzungsrisiko. Sandra verzog das Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. Das musste wehgetan haben. Herr Bode sah ihren Ausdruck und winkte ab.
„ Ist schlimmer als es aussieht“, gab er heroisch bekannt.
Er lächelte, nahm die Hand von seiner Stirn und das Lächeln gefror. Ungläubig starrte er auf das Blut zwischen seinen Fingern. Für einen Moment stand die Zeit still. Dann rollte er die Augen zurück, als wolle er sich seinen Hinterkopf von innen betrachten, und fiel vorn über auf die Teller. Besteck klirrte, Bambussprossenreste flogen und ein Stück knusprige Ente im Kokosmantel prallte von Sandras Wange ab.
Plötzlich kam Leben ins Lokal. Von allen Seiten eilten chinesisch palavernde Menschen herbei und kümmerten sich rührend um den stöhnenden Verletzten. Sandra kramte ihr Handy aus ihrer Tasche und rief ein Taxi für das Opfer der asiatischen Kampflampe.
Herr Bode saß mit zurückgelegtem Kopf auf der Bank, ein nasses Tuch auf der Stirn und Erdnusssoße auf dem Hemd.
Sie begleitete ihn nicht in die Notaufnahme, denn das lehnte er vehement ab. Ihm war das Ganze schon peinlich genug, vermutete sie. Aber es hatte ihn sicher gefreut, dass der schuldbewusste Chinese ihm die Rechnung erließ.
„ Nein, es ist nicht meine Art, jemanden einfach so sitzen zu lassen, nachdem er von einer Lampe angefallen wurde“, verteidigte sich Sandra ins Telefon.
„ Der Arme, so was macht man doch nicht!“, beharrte Florence, ihre beste Freundin von allen, aber auch die ehrlichste.
Sie hatte sich Florence zwischen Ohr und Schulter geklemmt und räumte nebenbei die Küche auf. Zum wiederholten Male strich sie sich ihre goldblonden Haarsträhnen hinter die Ohren, um zu verhindern, dass sie ihr immer wieder als dicker Vorhang vor die Aussicht fielen.
„ Wenn ich ihn begleitet hätte, wäre es ihm noch schlechter gegangen. Zweifache Demütigung sozusagen. Und außerdem konnte ich diesen Mann einfach nicht länger ertragen, Flo.“
Lachen auf der anderen Seite. „Warum bist du dann überhaupt mit ihm ausgegangen?“
Gute Frage. Sandra hielt inne und schaute aus dem Fenster. Ein strahlender Sonnentag wartete darauf, genossen zu werden.
„ Er tat mir irgendwie leid, ich weiß auch nicht. Im Büro ist er immer ein ganz Netter. Und hässlich ist er auch nicht, einfach nur dürr und langweilig. Und er lacht immer an den falschen Stellen. Ich dachte, vielleicht ist er privat anders.“
„ Das kannst du vergessen. Einer, der deinen Humor im Büro nicht versteht, versteht ihn auch privat nicht. Na ja, das kannst du jetzt unter Erfahrungen verbuchen.“
„ Du hast gut reden. Männer wie dein Jürgen sind eine aussterbende Rasse.“
„ Aber leider nie zu Hause.“
Sandra seufzte. „Wo ist er denn jetzt schon wieder?“
„ In Südamerika. Für volle zwei Wochen. Und ich sitze hier und hüte ein riesiges leeres Haus, schlafe in einem leeren Bett und langweile mich zu Tode, weil der Herr es nicht gern sieht, dass ich arbeite.“
„ Adlige arbeiten nicht“, neckte Sandra.
Florence von Laufenberg hatte nicht nur blaues Blut, sondern auch noch weiße Haut, hellblondes langes Feenhaar und ein ätherisches Wesen. Man sollte sie auf ein Samtkissen setzen und ein „Berühren verboten“ - Schild anbringen, damit niemand sie versehentlich zerbrach.
„ Heutzutage schon. Wir sind alle verarmt, hast du das vergessen? Ich wurde im falschen Jahrhundert geboren.“
„ Schlechtes Timing, Flo. Du solltest deine Reinkarnationen in Zukunft besser planen. Und Jürgen lässt überhaupt nicht mit sich reden?“
„ Nix zu machen.“ Sie senkte ihre Stimme um ein paar Oktaven. „Meine Frau muss nicht arbeiten. Bin ich ein Versager?“
„ Ganz schön konservativ, aber irgendwie beruhigend“, sagte Sandra und schaltete die Kaffeemaschine ein.
„ Beruhigend?“
„ Na ja, anscheinend ist er nur zu neunzig Prozent perfekt. Wäre er ein Hunderter, müsste man sich vor ihm fürchten.“
In dieser Vorstellung verhaftet schwiegen beide einen Moment.
„ Stimmt“, meinte Florence schließlich, „Als Hunderter wäre er absolut unerträglich. Er würde mir all meine Schwächen vorhalten und ich hätte nichts, das ich ihm zurückschmettern könnte.“
Sandras Blick schweifte über den Kalender an der Kühlschranktür. Einkaufen, hatte sie für den heutigen Samstagmorgen dort eingetragen. Es befand sich nichts Essbares mehr im Haus, abgesehen von einer depressiven Salatgurke im
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