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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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daher konnte ich auch klar sagen, dass ich nicht so werden wollte, wie all die anderen im »Club der gebärenden Gesellschaft«, die vom Erdball verschwanden, sich nicht mehr meldeten, die ihre Freunde vernachlässigten und deren Kosmos sich nur noch ums Kind drehte.
    Ich wollte weiterhin Spaß haben. Das war zumindest der Plan. Auch wenn der manchmal anders aussah als früher: Zum Beispiel stand ich meinen Freundinnen nun als Stylingcoach zur Seite während der stundenlangen Anprobe von Schwangerschaftswäsche. Und ich fragte mich ernsthaft, was an halterlosen Stützstrümpfen und Unterhosen, die oberhalb des Bauchnabels aufhörten, noch sexy sein sollte. Spitze hin oder her.
    Manchmal musste ich auch einfach nur mal zuhören, wenn die Hormone wieder verrücktspielten. So wie bei Hanne, als sie schließlich kugelrund auf meinem Sofa saß und völlig unvermittelt anfing zu weinen. Sie, die immer so tough tat und die noch nie in meiner Anwesenheit einen Anflug von Schwäche gezeigt hatte. Die Frage »Warum?« lag also eigentlich sehr nahe. Ihr Dekolleté allerdings auch. Der Anblick des Tattoos über ihrer Brust lenkte mich massiv ab. Es hatte sich in den letzten Wochen aufgrund der räumlichen Ausdehnung von einer Eidechse in einen Dinosaurier verwandelt. Faszinierend – wenn es nicht die eigene Brust war. Wie das wohl in ein paar Monaten aussehen würde? Oder nach dem Abstillen?
    »Ich hab solche Angst …«
    Hätte ich auch an deiner Stelle, dachte ich und drehte meinen Kopf unauffällig zum Kalender. Noch vier Wochen bis zum Stichtag. Falls sie nicht vorher platzte.
    »Ich hab solche Angst, dass das Baby hässlich wird«, heulte sie los und stützte ihren Kopf in die Hände, sodass sie hinter einem wirren Vorhang aus dunkelblonden Locken verschwand.
    »Hässlich? Wie kommst du denn darauf? Ich hab noch nie ein hässliches Baby gesehen!«, log ich.
    »Und keiner traut sich, es mir zu sagen. Stattdessen schauen sie in den Stubenwagen und sagen alle: ›Ach, wie süüüüß!‹«
    Aber all das war nichts gegen den Sonntagmorgen, an dem ich mit meinem Latte macchiato den Balkon betrat und mich gerade auf die Liege legen wollte, als ich im Hinterhof auf der kleinen Grünfläche, die von allen Bewohnern der umstehenden Häuser genutzt wurde, etwas Merkwürdiges beobachtete. Direkt unter dem Pflaumenbaum stand ein Paar, das schräg gegenüber von mir wohnte. Sie hielt ein kleines Bündel im Arm und schob den leeren Kinderwagen hin und her, als hätte sie vergessen, dass sich das Kind auf ihrem Arm befand. Er kniete am Boden und buddelte ein Loch. Dann nahm er eine Tüte, holte irgendwas heraus, legte es in das Erdloch, schaufelte es wieder zu und umarmte seine Frau. Danach fingen sie an zu singen. Den Text konnte ich nicht verstehen.
    Als ich die drei ein paar Wochen später auf dem Bio-Wochenmarkt traf, musste ich einfach fragen. Meine Neugier war zu groß. Vorher schaute ich natürlich in den Wagen und sagte: »Ach, wie süüüüß!«
    Als ich damit fertig war, outete ich mich als stille Beobachterin des Geschehens im Hinterhof. Die beiden strahlten mich an.
    »Das war der Mutterkuchen von der Tamara, beziehungsweise ein Teil davon. Den anderen Teil haben wir zu einem Kuchen verarbeitet. Wussten Sie denn nicht, welche enorme Energie in so einem Mutterkuchen steckt?«
    Nein, wusste ich nicht und wollte ich auch eigentlich gar nicht wissen. Ich spürte eine ganz andere Energie, und zwar in der Magengegend. Gott sei Dank hatten die beiden mich noch nie zum Kaffee eingeladen.
    Ich wusste dafür anderes. Zum Beispiel: Kinderkriegen war nicht gleich Kinderkriegen. Wer Kinder bekam, war nicht mehr er selbst. Vielleicht war das in manchen Momenten auch besser so. Fakt war, dass es niemand, der sich ein Kind wünschte, hören wollte. Keiner wollte etwas davon wissen, dass sich sein Leben änderte, und zwar komplett. Die meisten dachten, sie bekämen mal kurz ein Kind, und danach ginge ihr Leben einfach so weiter, wie es war. Pustekuchen! Aus und vorbei.
    Aber auf mich hörte ja keiner. Keiner wollte wahrhaben, dass die Größe 36/38 nicht mehr passen würde, langfristig. Dass man ein Sparbuch anlegen sollte für eventuell nötige Schönheitsoperationen im Bauchbereich. Keiner wollte wahrhaben, dass Schlafentzug eine gängige Foltermethode war.
    Ich hätte Bücher darüber schreiben sollen. Zeit hätte ich ja gehabt. Leider. Stattdessen tat ich so, als würde ich mich freuen, und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, was ich

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