Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
wirklich dachte: Mist. Denn jedes Kind hieß im Klartext: eine Freundin weniger. Zumindest bis zur Einschulung. Oder doch bis zum Auszug?
Was blieb mir auch anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Seit ein paar Jahren war ich umgeben von Menschen, die nicht mehr richtig zuhören konnten, wenn man ihnen etwas erzählte, weil sie ununterbrochen nach ihren »Zwergen« gucken mussten. Statt in meiner Stammkneipe in der Sternschanze traf ich meine Freundinnen auf völlig überfüllten Kinderspielplätzen, wo ich von ihnen meist nur das Hinterteil sah, weil sie »mal kurz gucken müssen, was der Zwerg macht«. Nach zwei Stunden im Schatten, weil der Zwerg ja keine Sonnenstrahlen abkriegen durfte, verabschiedete ich mich dann meist, weil es langweilig war, allein am Rand einer Sandkiste zu sitzen.
Seit dieser Erfahrung wusste ich, wie sich Susi gefühlt haben musste, mit der früher bei uns im Dorf keiner spielen wollte, weil sie so roch. Vielleicht hätte ich es ihr einfach mal sagen sollen.
Es gab Zeiten, da dachte ich: Charly, das ist nur jetzt am Anfang so. Alles ist neu und aufregend.
Quatsch. Die Wahrheit war: Es hörte nie auf. Es wurde schlimmer!
Es wurden erstens immer mehr Freundinnen, bei denen »die Uhr tickte«, und zweitens immer mehr Kinder. Denn wer erst einmal auf den Geschmack gekommen war, der überlegte auch schnell, dass es ja superpraktisch wäre, wenn das Zweite fix hinterherkäme.
Der beste Beweis war meine Pinnwand! Früher hingen da Fotos von meinen Urlauben: Nina und ich auf Mallorca, nach bestandenem Abi, Hanne und ich in Norwegen, mit Ilka in Berlin auf Shoppingtour, mit Melli ein verlängertes Wochenende auf Rügen. Und nun?
Nun hing hier der Babyplan. Wer hatte welches Kind, und wie alt war es? Was konnte es inzwischen? Darauf sollte man unbedingt achten. Wenn man das vergaß, waren Eltern besonders gekränkt. Zugegeben, ich konnte es mir nicht merken und brachte regelmäßig durcheinander, wer schon krabbeln und brabbeln konnte und wer schon in der Lage war zu sagen, dass er einen schlichtweg doof fand. Und das Allerwichtigste: die Geburtstage!
Angelegt hatte ich den Plan nach meinem eigenen letzten Geburtstag, den ich mit all meinen Freunden feiern wollte. Aus dem Alter war ich nun auch raus – beziehungsweise aus meiner Wohnung. Denn nach der Feier kam die Kündigung.
Dass man die Anzahl der Freundinnen mal zwei nehmen musste, um auf die zu erwartende Gästezahl zu kommen, daran hatte ich gedacht, aber nicht daran, dass man sie mit der Zahl drei oder besser gleich vier zu multiplizieren hatte. Sie brachten selbstverständlich alle ihre Kinder mit.
Das Wohnzimmer verwandelte sich binnen Minuten in eine »Krabbelecke«. In der Mitte des Raumes wurde eine große Decke ausgebreitet für die null bis acht Monate jungen Kinder. Gewickelt wurde auf dem Wohnzimmertisch, zwischen Schwarzem Peter, Kaltem Hund und Käse-Igel. Im Flur fuhr ein mir unbekanntes Kind Skateboard. Und ich wagte nicht zu fragen, wem es gehörte – das wäre das Ende der Freundschaft gewesen. Ein kleiner Junge riss wie ein Roboter immer wieder die Tür zum Treppenhaus auf und schrie, so laut er konnte: »Hallo, hallo, hallo, hallo!« Genau vier Mal, dann knallte er mit voller Wucht die Tür zu, um sie sofort wieder aufzureißen und das Spiel von vorne zu beginnen. Ich mochte Kinder, die sich selbst beschäftigen konnten.
»Du hast ja gar kein KiKa!«, brach es entsetzt aus meiner Kollegin heraus, während sie mir völlig entgeistert die Fernbedienung entgegenhielt. »Emil guckt um diese Zeit immer KiKa!«
In meinem Schlafzimmer spielten die Ein- bis Fünfjährigen Kaufmannsladen mit meiner frisch gewaschenen Unterwäsche, die ich eigentlich noch hatte wegsortieren wollen. Am Esstisch saßen die Mütter der Kinder, die in dem Alter waren, in dem sie zwar noch Pampers brauchten, aber laut Aussage ihrer Mütter »alles, aber auch wirklich alles verstehen«. Leider, denn ich verstand nichts mehr.
»Gib mir doch bitte noch mal einen von diesen leckeren KA-E-KA-ES-E-EN!«
»Meinst du diese hier?«
»Ja, genau, die …«
Während ich Minuten brauchte, bis ich verstand, wer hier was haben wollte, beherrschten meine Freundinnen ihre Buchstabier-Geheimsprache perfekt. Wie mir später erklärt wurde, hielt die Verschlüsselung der Dinge durch das Buchstabieren leider nicht allzu lange an. Irgendwann hatten die Kleinen es raus. Was aber auch einen Vorteil hatte: Diese Kinder konnten schon lesen und
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