Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
mal gesprungen war, dann wollte dieses eigenwillige Ei innerhalb von circa sechs bis maximal zehn Stunden befruchtet werden, erklärte sie mir, während sie in ihre Jacke schlüpfte. Man lernte nie aus. Vielleicht sollte sie etwas weniger Sport treiben und etwas mehr Schokolade essen – so wie ich. Wer weiß, vielleicht würde das ja helfen.
Ich überlegte kurz. Also war eine Schwangerschaft beziehungsweise deren Beginn immer abhängig von absolut perfektem Timing. Was für ein Stress! Dass das Leben gleich so beginnen musste. Mein Gott!
Ich schaute mich im Café um. Alles Zufälle, die da an den anderen Tischen saßen, sich unterhielten oder aßen. Alles Zufälle, die innerhalb von sechs bis zehn Stunden nach dem Eisprung gezeugt worden waren. Wahnsinn.
»Er fühlt sich schon wie eine Zapfsäule, aber was soll ich denn machen? Ich habe nur einmal im Monat die Chance schwanger zu werden, und meist sitzt er dann gerade im Flieger, oder ich bin unterwegs. So wird das eben nie was. Da muss man etwas nachhelfen. Lass uns später noch mal telefonieren, okay?«
»Danach?«
»Klar!«
»Na, dann viel Spaß …«
Sie gab mir einen Kuss links, einen rechts und huschte aus dem Café.
Seit Jahren wünschte sie sich schon ein Kind. Eigentlich seitdem ich sie kannte. Erst fand sie nicht den passenden Mann, der ihr gut genug war, dann hatte sie einen, der für diese wichtige Mission gut genug, aber leider auch an anderen interessiert war, wie sich bald herausstellte. Und als sie dann doch endlich den Richtigen gefunden hatte, klappte es nicht.
Aber Birgit war zielorientiert. Sie recherchierte und hatte schnell ein »So werden die Spermien meines Mannes besser«-Programm für ihn zusammengestellt. Der Arme wurde auf Diät gesetzt. Kein Alkohol, kein Kaffee, keine säurehaltigen Getränke, basisches Essen, dreimal die Woche Sport, vier Tage vor dem Eisprungsex keinen sonstigen Sex und einmal die Woche zur Akupunktur, damit seine kleinen Männer wieder »auf Trab« kamen, wie sie mir irgendwann mal erklärte. Ich hätte zu gern gewusst, wo dieser Akupunkturpunkt lag.
Und damit es nicht »umsonst« war, wenn sie miteinander schliefen, wandte sie nun also auch noch diese tolle neue Methode an, durch die sie ganz genau wusste, wann sie musste. Beziehungsweise wann er musste. In diesem Fall musste er seinen Flug verschieben. Er arbeitete für eine Bekleidungsfirma, die gerade expandierte. Aus dem Ziel Budapest wurde das Ziel Bett – oder wo auch immer. Ich wollte es gar nicht wissen.
Ich holte tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und sah hoch. Mein Blick blieb am nackten Busen der Dame hängen, die aus unerfindlichen Gründen oben ohne mit ihrer Freundin und drei ebenso freizügigen kleinen Burschen unter einem Orangenbaum saß, die Sonne genoss, sich vermutlich gerade prächtig amüsierte und ganz nebenbei die gewölbte Decke des Cafés schmückte. Hätte ich auch gern getan. Nicht die Decke schmücken – mich prächtig amüsieren natürlich. Aber mir war ein kleines Ei in die Quere gekommen.
Ich kippte den Inhalt meines Glases runter, gab dem Kellner ein Zeichen, legte das Geld für die beiden Prosecchi inklusive Trinkgeld auf den Tisch, nahm Trenchcoat und Tasche und steuerte auf den Ausgang zu. Vermutlich war es Einbildung, aber ich hatte das Gefühl, mitleidige Blicke zu spüren, während ich mich zwischen den kleinen Bistrotischen hindurchschlängelte, ganz so als wäre ich es gewesen, die soeben etwa vierzig fremden Menschen in diesem Café mitgeteilt hatte, dass sie jetzt nach Hause gehen würde, um das zu tun, worüber man sonst eher selten vor Fremden sprach. In der Hoffnung, dass die meisten mich nicht sofort erkennen würden – denn gerade einen Tag zuvor war ein Artikel im Hamburger Abendblatt mit einem großen Foto von meinem gut durchbluteten Gesicht erschienen: » 99,9 – Aufwachen und Lachen! Hamburgs fröhlichster Radiosender sucht für die schöne Charly einen neuen Wetterfrosch zum Wachküssen« –, verließ ich mit gesenktem Kopf das Café.
Mein Abend war also vorbei, bevor er überhaupt angefangen hatte. Und das nur, weil Birgit so darauf versessen war, schwanger zu werden.
Auf dem Weg zur S-Bahn überlegte ich, wann eigentlich mein Eisprung war. Gehörte das Wissen über den eigenen Eisprung zur Allgemeinbildung? Auf alle Fälle gehörte er zu den Dingen, über die ich noch nie nachgedacht hatte.
Warum auch?
Mir wäre es lieber gewesen, Birgit hätte ihren vergessen. Dann wäre nicht nur der
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