Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
einem Becher in der Hand ließ es sich besser reden. Ich ging in die Küche, warf die Kaffeemaschine an und öffnete den Kühlschrank, um Milch rauszuholen. Statt Milch fand ich drei große Schalen Wackelpudding in Gelb, Grün, Rot.
»Das ist das Einzige, was ich zurzeit runterbekomme.«
»Nina, du bist schwanger.«
»Schwanger? Du spinnst.«
Ein paar Wochen zuvor hatten wir mal wieder in der Videothek gestanden, auf der Suche nach leichter Unterhaltung. Die fanden wir damals auch in Gestalt eines Bekannten, mit dem ich – leider – einmal eine Nacht verbracht hatte. Ich entdeckte ihn, bevor er uns entdeckte.
»Du willst doch dringend mal wieder guten Sex, oder?«, fragte ich Nina.
»Sag bloß, du willst einen erotischen Film ausleihen und es mir zeigen?!«
»Keine Angst, das kann der da drüben übernehmen.«
»Ist das der, der so unglaublich lange kann? Oder der mit den Tiernamen?«
»Lass dich überraschen. Für das, was du brauchst, ist er der Richtige. All das andere, also eine lange, glückliche Beziehung und das ganze Drumherum, kannst du gleich vergessen. Denk gar nicht erst darüber nach!«
Sie hörte mir leider nicht zu.
Die Nacht war olympiareif, wie ich schon am nächsten Morgen erfuhr. Was im Grunde keine Neuigkeit für mich war. Und weil es so gut war, blieben die beiden dabei. Sie hatten Gefallen aneinander gefunden, und ich hatte auch etwas davon.
Da Sebastian Nina jetzt regelmäßig mit seinem 80er-Jahre-Suzuki-Geländewagen umherkutschierte, durfte ich mit ihrem alten VW-Käfer fahren. Eine Art Vermittlungsgebühr.
Ein paar Wochen später fuhr ich sie mit Heidrun, wie ich zwischenzeitlich ihren Wagen getauft hatte, zum Arzt. Er händigte ihr nach der Untersuchung den Mutterpass aus. Sie hatte die Anzeichen ihrer Schwangerschaft verdrängt, was ich bis heute nicht verstehen konnte.
Wie konnte man glauben, dass der Busen grundlos innerhalb von kurzer Zeit so an Umfang zulegte, dass kein einziger BH mehr passte? Wie konnte man verdrängen, dass man alles Essbare ekelerregend fand und sich nur noch von Wackelpudding ernährte? Warum kam es einem nicht komisch vor, dass man heulen musste, nur weil sich drittklassige Schauspieler in einer Soap irgendeines privaten Senders trennten?
Damit war jetzt jedenfalls Schluss. Nina war in der zwölften Woche.
Wahrscheinlich hätte sie es mir nie verziehen, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich ähnlich wie ihr Vater dachte. Als sie ihm die frohe Nachricht mitteilte, bekam er Schnappatmung, riss sich die Krawatte umständlich vom Hals und hielt ihr schließlich – nach dem ersten Schockmoment – eine Standpauke. Seine Gründe waren klar: Er hatte sich das Leben seiner einzigen Tochter anders vorgestellt, vielleicht mit Promotion und einem Banker als Schwiegersohn. Meine Gründe sahen etwas anders aus, denn ich wusste, dass sie schon vor der Geburt alleinerziehend sein würde. Schließlich kannte ich den Erzeuger. Ich dagegen würde nur allein sein. Aber das reichte ja auch.
Wie ich vorausgesehen hatte, zog Nina nach Süddeutschland zu ihrer Mutter, die dort seit Jahren mit einem neuen Mann lebte und sich um ihre Tochter und ihr Enkelkind kümmern wollte. Seitdem schrieben wir uns zweimal im Jahr.
Nach dem Nina-Schock war jahrelang Ruhe. Keiner wollte Kinder, keiner sprach darüber, keiner interessierte sich für sie.
Und plötzlich: PENG! Eine nach der anderen verschwand in Vorbereitungs- und Rückbildungskursen. Nur ich war weder vorbereitet, noch konnte ich irgendetwas rückgängig machen.
Hanne, mit der ich seit Jahren befreundet war und seit einem halben Jahr sogar in einem Haus lebte – jede in ihrer Wohnung –, war nach einem Jahrzehnt der Glückseligkeit, in dem keiner Kinder bekam, eine der Ersten, die komisch wurde. Das war vor knapp zwei Jahren. Sie, die nie die Grünen gewählt hatte und auch kein Problem damit hatte, die acht Meter zum Bäcker mit dem Auto zu fahren, fragte sich, wie es eigentlich um die Abgaswerte bei uns in der Straße stand und ob wir nicht mal Unterschriften für eine Tempo-30-Zone sammeln sollten. Außerdem war sie plötzlich dafür, die Mülltonnen aus dem Hausflur unten zu verbannen, damit dort Platz für Fahrräder oder Kinderwagen wäre.
Bitte?! »Wer braucht denn einen Kinderwagen?«, fragte ich, als sie mir bei einer Tasse Kaffee auf meinem Balkon von dieser tollen Idee erzählte.
Es waren drei Buchstaben, die den Milchkaffee in hohem Bogen aus meinem Mund heraus und über die Balkonbrüstung in die
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