Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Abend so verlaufen, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, sondern mein ganzes Leben würde auch in Zukunft so bleiben, wie es war. Wenn sie rechtzeitig zu Hause ankäme – was ich nicht hoffte –, würde ich demnächst vermutlich allein in den Bars und Cafés dieser schönen Stadt sitzen. Und zwar in genau zehn Monaten.
Birgit und auch Ilka, die ich schon kannte, bevor ich wusste, dass Barbies doof waren, waren die letzten beiden, die noch keine »Zwerge« hatten. Ilka war noch nicht einmal mit dem Kindervirus infiziert. Dem Himmel sei Dank! Alle anderen waren es nämlich.
Die S3 Richtung Altona war überfüllt, wie jeden Freitagabend. Mir gegenüber hatte eine geistesabwesende Frau mit ihrem aufgeweckten Zweijährigen Platz genommen, der von ihr unbemerkt die Scheibe mit seiner Zunge ableckte. Ich versuchte nicht hinzugucken, tat es aber doch.
Wann hatte der Kindervirus sich eigentlich in meinem Freundeskreis ausgebreitet? Vermutlich fing alles mit Nina an. Sie war damals die Erste, die schwanger wurde.
Wir waren noch nicht einmal zwanzig, und damals dachte wirklich keiner an Kinder. Höchstens so: Wie bekomme ich sie nicht ? Doch das war inzwischen – oh Gott – schon über fünfzehn Jahre her! Inzwischen waren wir knapp doppelt so alt, und die Frage lautete: Wie bekomme ich sie?
Zumindest fragten sich das alle anderen.
Nina und ich kannten uns seit der Einschulung, hatten alles zusammen durchgemacht: vom ersten Pickel bis zum ersten Freund. Letzteres wollte sie schon haben, bevor ich überhaupt einen Gedanken daran verschwendete, aber was sie bekam, war Ersteres. Und zwar nicht zu knapp. Was dann wiederum die Sache mit dem Freund nicht wirklich leichter machte.
Wir waren gerade zu Hause ausgezogen. Raus aus dem Dorf, rein in die Stadt: Kiel. Aufregung pur. Jedenfalls wenn man in dem Dorf aufgewachsen war, aus dem wir kamen. Da kannte man nur eine Aufregung: einen Ausflug nach Bad Segeberg mit Besuch bei Möbel-Kraft inklusive Kinderkino und – wenn es hoch kam – einer Eintrittskarte für die Karl-May-Festspiele auf dem Kalkberg.
Nina und ich zogen also in die Weltstadt an der Förde. Wir wohnten in einem sehr unspektakulären, tendenziell hässlichen Wohnblock in einem Stadtteil, der sich später als sehr uncool erwies. Aber zu dem Zeitpunkt hatten wir noch nicht den nötigen Durchblick. Nina wohnte im Souterrain. Ich unterm Dach. Beides war billiger als der Rest. Wir fühlten uns verdammt erwachsen und enorm reif.
Nina hatte meinen Wohnungstürschlüssel, ich ihren. Das gab uns ein Gefühl von Familie, die wir vermissten, ohne es zuzugeben, denn natürlich hatten wir Heimweh. Das hätten wir nur im Leben nicht zugegeben. Lieber hätten wir uns die Haare grün gefärbt! Innerhalb der Woche war das auch kein Thema. Aber die Wochenenden! Wenn man es samstagabends richtig anstellte, war die erste Hälfte des Sonntags schnell rum. Aber dann … Ich war einfach keine Freundin der Sonntage. Aber dafür war ich Ninas Freundin. Und die hatte von ihrem Vater einen alten roten VW-Käfer geschenkt bekommen, mit dem wir durch die Gegend fuhren. Wenn ich auf dem Beifahrersitz saß und mit den Füßen die Matte beiseiteschob, konnte ich auf die Straße gucken. Der Rost hatte ein Loch in den Boden gefressen, durch das man locker einen Fußball hätte stecken können. Deshalb musste man immer etwas breitbeinig sitzen. Um zur Tankstelle, zur Videothek und zurück zu fahren, reichte die Karre aber dicke.
Gemeinsam mit Nina hatte ich meinen ersten Filmriss und nahm meinen ersten Job an. Wir liefen als Kartoffeln verkleidet über die Kieler Woche und verteilten Flyer für ein Restaurant. Ein Albtraum. Ich kriege heute noch Schweißausbrüche bei dem Gedanken, dass mich damals eventuell irgendjemand fotografiert haben könnte. Warum Nina das über sich ergehen ließ, hatte ich nie verstanden. Sie kam schließlich »aus gutem Hause« und hatte es nicht nötig, neben dem Studium noch zu jobben, im Gegensatz zu mir.
Es war einer dieser trostlosen Sonntage, als ich mal wieder an ihre Tür klopfte, in der Hoffnung, sie könnte mir ein paar Stunden klauen, damit endlich wieder Montag war.
Nina saß auf ihrem Bett und weinte, als ginge die Welt unter, betonte aber immer wieder, dass es keinen Grund dafür gäbe. Aufhören funktionierte allerdings auch nicht. Umgeben von benutzten Taschentüchern fragte sie mich, ob ich ihre BHs haben wolle, weil sie ihr nicht mehr passten.
Ich beschloss, einen Kaffee zu kochen, denn mit
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